Am 29. August 1915

Leutnant Günter Freiherr von Forstner, eines der besonderen Sinnbilder des „unnachahmlichen preussisch-deutschen Leutnants“, der in der „Zabern-Affäre“  zweifelhaften Ruhm erlangte, fiel heute vor 100 Jahren in Russland.    

 

Was er in Zabern (frz. Saverne) im Elsass so veranstaltete, brachte ihm Lob und Unterstützung, aber auch Spott ein.

 

 

Die Zabern-Affäre:

 

„Diesen schneidigen deutschen Leutnant macht uns keiner nach …“, lässt Heinrich Mann seinen „Untertan“ Diederich Hessling mit einem Bismarck zugesprochenen Zitat denken. So ein Exemplar ist der 19-jährige Leutnant Günter Freiherr von Forstner, stationiert in Zabern (frz: Sauverne) im Elsass, der es sich nicht nehmen lässt, bei einer Rekruteneinweisung seine Soldaten über den Umgang mit den elsässischen Zivilisten zu belehren:

 

 

Diese Zivilisten wollten eigentlich keineswegs so unbedingt wieder in den französischen Staatsverband zurück (das Elsass war 1870/71 annektiert worden), sondern nur Autonomie innerhalb des Deutschen Reiches. Nachdem der Bevölkerung klar geworden ist, dass diese Autonomie nicht zu verwirklichen ist, verschlechtert sich das Verhältnis stetig.

 

Die Pickelhaubenträger werden nämlich, nachdem die Bevölkerung mit ihrer Forderung nach Selbstverwaltung nicht durchdringen konnte, als Besatzungsarmee empfunden, die auch auf friedliche Demonstrationen mit Brachialgewalt reagiert.

 

Diese Armee tut auch alles dazu, genauso wahrgenommen zu werden: Leutnant von Forster belehrt also seine Rekruten, sie sollten sich von den „Wackes“ nichts gefallen lassen. „Wackes“ war ein den Soldaten eigentlich streng verbotenes Schimpfwort mit der Bedeutung „Arbeitsloser, Tagedieb, Faulenzer, Lump.“ Es könne auch schon mal das Seitengewehr zum Einsatz kommen. Mit dem Blick auf einen wegen Messerstecherei vorbestraften Rekruten fügte er hinzu: „Und wenn Sie dann so einen Wackes über den Haufen stechen, schadet es nichts. Sie bekommen dann von mir noch zehn Mark Belohnung.“ Einer der Unteroffiziere wollte dann auch noch drei Mark drauflegen.

 

Dummerweise sind auch „Wackes“ unter den Rekruten, die mit diesem Vorfall an die Presse gehen und nach anderthalb Wochen ist die Geschichte öffentlich. Es wird demonstriert, und 27 Elsässer werden verhaftet.

 

Leutnant v. Forstner kann sich nicht mehr ohne Eskorte durch die Stadt bewegen. Wo auch immer er erscheint, wird er als „Wackesleutnant“ oder „Bettschisser“ verspottet, wobei Letzteres auf die Folgen eines Saufgelages anspielt.

 

Den Empfehlungen des deutschen Statthalters, von Forstner zu versetzen, folgen dessen Vorgesetzte nicht, stand doch die Ehre des Militärs auf dem Spiel – oder so …

 

Die sieht Leutnant von Forstner sich am 2. Dezember genötigt, seine Ehre persönlich zu verteidigen: Als er und seine Entourage von einer Gruppe Schuhmachergesellen verspottet wurden, setzten seine Leibwächter diesen nach, werden jedoch nur eines halbseitig gelähmten Gesellen habhaft. Der Leutnant zieht seinen Säbel, bringt dem schwer gehbehinderten Mann eine schwere Kopfverletzung bei. Nachdem er zuerst zu 10 Tagen Arrest verurteilt worden war, bescheinigte ihm die Revisionsinstanz „Notwehr“. Härter bestraft wurden jedoch die Rekruten, die die Geschichte öffentlich gemacht hatten.

 

Daheim im Kaiserreich gibt es sowohl Unterstützung als auch Kritik: „Immer feste druff…“ telegrafiert der Kronprinz, und unterstützt seinen Vater: "Die jüdische Demokratie will ja weiter nichts als Deine Kommandogewalt untergraben". Als der Telegrammtext ebenfalls ein die Öffentlichkeit gerät, werden elsässische Postbeamte reihenweise wegen Indiskretion versetzt.

 

Die Linke bringt ein Misstrauensvotum gegen Reichskanzler Bethmann-Hollweg durch, das der Kaiser aber nicht zur Kenntnis nimmt. Publizisten wie Kurt Tucholsky dichten Böses (s. unten) und Theodor Heuss nennt den gesamten Skandal „ein Symptom“ für die gesamte Überhöhung des Militärs.

 

Lt. von Forster fällt  wie gesagt, am 29.08. 1915 in Russland, doch die Affäre wirkt weiter. Unter „zabernisation“ versteht man im Englischen unangemessene und übergriffige Gewalt. „Zabern“ dient auch als Referenz für spätere Ereignisse: unter dem Titel: Preußens Variante des GI-Amoklaufs in Afghanistan“ vergleicht die WELT  den Amoklauf eines kopfverletzten US-Stabsfeldwebels mit den Handlungen des Lt. von Forster. Von Forster habe alle Bemühungen ruiniert, die Elsässer für Deutschland zu gewinnen. Damit dürften diese über den Ausgang sowohl des Ersten als auch des Zweiten Weltkriegs nicht so unglücklich gewesen sein, wie das eine nationale Propaganda gerne hätte.

 

 

Kurt Tucholsky widmete dem "Helden" folgendes Spottgedicht:

 

 

Der Held von Zabern

 

Ein «Mann» mit einem langen Messer,

und zwanzig Jahr –

ein Held, ein Heros und Schokladenesser,

und noch kein einzig Schnurrbarthaar.

 

Das stelzt in Zaberns langen Gassen

und kräht Sopran

Wird man das Kind noch lange ohne Aufsicht lassen?

Es ist die allerhöchste Eisenbahn!

 

Das ist so einer, wie wir viele brauchen!

Er führt das Korps!

Und tief bewegt sieht man die Seinen tauchen

nach Feinden tief in jedes Abtrittsrohr.

 

Denn schließlich macht man dabei seine Beute

wer wagt, gewinnt!

Ein lahmer Schuster ist es heute,

und morgen ist’s ein Waisenkind.

 

Kurz: er hat Mut, Kuhrasche oder besser:

ein ganzer Mann!

Denn wehrt sich jemand, sticht er gleich mit’s Messer,

schon, weil der and’re sich nicht wehren kann.