Ukraine-Tagebuch_2015, Tag02

Nachdem ich mich heute Morgen noch mal im Hotel umgeschaut habe und endlich mal im Einkaufszentrum "Globus" vor dem Hotel ukrainisches Geld eingetauscht habe, habe ich mich im Beauty-Salon des Hotels etwas aufhübschen lassen, einige interessante Unterhaltungen gehabt und mich danach mit einem Kiewer fb-Freund getroffen. Wir sind durch die Stadt gegangen - ich ganz frei ohne Stöcke mit persönlicher Bestleistung von fast 10km . und er hat mir die wichtigsten Orte der Maidanrevolution gezeigt. Danach waren wir auf dem Kreschatyk sehr lecker essen. Natürlich habe ich mir nicht alles merken können, aber einen ersten Eindruck konnte ich mir doch machen: es wurde zwar vieles von den Zerstörungen schon wieder beseitigt, aber die Erinnerungsorte rund um den Maidan zeigen, daß das Geschehen vom Winter 2014 sehr präsent und für die Ukrainer prägend ist. Das nebenstehende Bild zeigt mich übrigens mit dem Stadion von Dynamo Kyiv im Hintergrund. Der Blitz hatte zu guter Letzt gestreikt und im Übrigen sind das jetzt alles Handy-Bilder, ich hab nämlich meinen Fotoapparat geschrottet.



 

Das sind noch mal zwei Bilder aus der Lobby, die während der Maidan-Revolution als Lazarett und Op gedient hat, den Anblick des Hotels von aussen, den Blick aus der Tür direkt auf den Platz und den Blick von einer Scharfschützenposition, von der aus die Demonstranten auf dem Platz beschossen wurden mit einer der vielen Gedenkinstallationen.


Im Beauty-Salon des Hotels, den ich zwecks Fassadenüberholung aufgesucht habe, war eine Frau, die die Hotellobby ebenfalls als Lazarett erlebt hatte, eine andere war gestern in Janukowitschs Versailles, und erzählte, sie habe zwar schon einen ungefähren Eindruck gehabt, aber die Größe und die Pracht hätten sie schier erschlagen. Alle sprachen russisch und als ich nachgefragt habe, meinte eine, sie sei eine echte Ukrainerin aus Kyiv, ihre Muttersprache sei das Russische - sie lerne jetzt so langsam mal ordentliches Ukrainisch - das habe lange Zeit das Image gehabt, die Sprache *hust* der "Leute aus den kleinen Dörfern" zu sein.




Die Bilder zeigen die Maidansäule mit dem Gewerkschaftshaus im Hintergrund. Vor der Uhr ist ein Gedenkort für die Himmelshundertschaft, über einhundert Leute zwischen 17 und 60 Jahren, die ihren Einsatz für Freiheit und Menschenrechte und die Unabhängigkeit mit dem Leben bezahlten und derer von den Ukrainern gedacht wird. Die Straße vor dem Gewerkschaftshaus heisst heute "Allee der Helden der Himmlischen Hundertschaft". Was mir auch nahe ging, war die Europaflagge in der Blumenuhr - wie übrigens auch die Europaflaggen, die die syrischen Flüchtlinge mit sich führten. Diese Leute scheinen die Europa-Idee besser verstanden zu haben als viele, die sich ohne Sinn und Verstand am Niedermachen  beteiligen. Ich hab mich an meine Schulzeit erinnert. Viele, gerade unserer Französisch-Lehrerinnen standen unter dem Eindruck jener jungen Deutschen und Franzosen, die Anfang der fünfziger Jahre die Grenzzäune niederrissen, oder De Gaulles Rede, an die ich in diesem Zusammenhang noch mal erinnern möchte. Dieses Feuer, von dem De Gaulle spricht, brennt in den Maidan-Aktivist*innen und in den syrischen Flüchtlingen, die hinter der Europa-Flagge auf der Autobahn hergingen. Aber in der "deutschen Jugend"? Sinngemäß stellt sich die Frage auch für die anderen durch 70 Jahre Frieden Privilegierten...




Wir sind dann weitergegangen, zunächst an weiteren Installationen für die Himmelshundertschaft, um die sich heute Touristen sammeln, um sich die Geschehgnisse erklären zu lassen, sowie die primitive Ausrüstung, mit der sich die Aktivist*innen gegen ihre hoichgerüsteten Gegner verteidigt haben. Menschen derer mit so viel Liebe gedacht wird, waren und sind keine Putschisten! Das war mein Programm für heute.