7. November 1918 - Deutsche Unterhändler bitten um einen "ehrenvollen Waffenstillstand"

Wunsch nach einem ehrenvollen Waffenstillstand. Beim Ort La Pierre d'Haudroy, in der Nähe des Dorfes La Flamengrie, 15 km von der Grenze zu Belgien entfernt, überquert um 20:20 Uhr spätabends eine vom Politiker Matthias Erzberger geleitete deutsche Delegation die Frontlinie und begibt sich mit weißen Flaggen auf das Gebiet der französischen Truppen, um um einen ehrenvollen Waffenstillstand nachzusuchen, was sich letztendlich als nicht erreichbar erwies. Die Militärs, allen voran Hindenburg und Ludendorff, hatten dieses Ergebnis kommen sehen und wohlweislich Zivilisten mit den Verhandlungen beauftragt, was es später ungemein erleichterte, an der Dolchstoßlegende zu stricken: den Soldaten, „im Felde unbesiegt“, sei von den Zivilisten in der „Heimat“ der Dolch des Verrats in den Rücken gestoßen worden, was am 17. Dezember 1918 zum ersten Mal in der Neuen Zürcher Zeitung erwähnt wird. Der britische General, dem dieses Zitat zugeschrieben wird, hat später dementiert.

Bildnachweis: verschiedene Internetquellen.

Das Bild zeigt, wie der sozialdemokratische Politiker Philipp Scheidemann die "Front" erdolcht, beobachtet vom Zentrumspolitiker Matthias Erzberger. Im Hintergrund sitzen hämisch lachende Juden auf ihren Geldsäcken - eine Reminiszenz an die im Krieg weitverbreitete Behauptung, "die Juden" hätten hinter der Front das dicke Geld gemacht, während die christlichen Deutschen in den Schützengräben verblutet seien. (Das hatte 1916 zu einer von der Obersten Heeresleitung veranlassten "Judenzählung" geführt, deren Ergebnisse jedoch wohlweislich nicht veröffentlicht wurden).

Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg bemüht bereits 1919 gar das Bild aus der Nibelungenlegende - galt es doch auch, den eigenen Mythos zu bedienen:


Dolchstoßlegende und Hindenburg-Mythos ebnen Hitler den Weg

"Wir waren am Ende! Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken. Unsere Aufgabe war es nunmehr, das Dasein der übriggebliebenen Kräfte unseres Heeres für den späteren Aufbau des Vaterlandes zu retten. Die Gegenwart war verloren. So blieb nur die Hoffnung auf die Zukunft."

Bildnachweis: Bundesarchiv

Die "Zukunft" fand ihren Höhepunkt auf dem "Tag von Potsdam", als Hindenburg mitwirkte, wie sich Adolf Hitler als legitimer Nachfolger inszenierte. "Der Marschall und der Gefreite" endgültig auf Augenhöhe. Mit der Zeit wurde die Legende ausgebaut: ohne die Novemberrevolution hätte die Oberste Heeresleitung einen "ehrenvollen" Kompromissfrieden erreichen können, und, ja, die "Erfüllungspolitiker", denen man die Erreichung dieses ehrenvollen Friedens anvertraut hatte ...

Matthias Erzberger wird seine Mitwirkung an den Waffenstillstandsverhandlungen 1921 mit dem Leben bezahlen, Philipp Scheidemann von den Nazis ins Exil gezwungen; 1939 stirbt er in Dänemark.

Bei den ersten Reichstagswahlen 1920 war auf einem Flugblatt zu lesen:

"Die Demokraten und Sozialdemokraten haben die Front erdolcht, sie haben damit über unser Volk den Erzbergerschen Schmach-, Hunger- und Mordfrieden gebracht. Unser Elend ist ihr Werk. Gebt die Quittung für den Dolchstoß bei den Wahlen."

Allerdings strickten auch Sozialdemokraten an der Dolchstoßlegende mit. Reichspräsident Ebert begrüßte die heimkehrenden Truppen mit den Worten:

"Froh begrüßen wir Euch in der Heimat. Seid willkommen von ganzem Herzen, Kameraden, Genossen, Bürger. Eure Opfer und Taten sind ohne Beispiel. Kein Feind hat Euch überwunden ... Erhobenen Hauptes dürft Ihr zurückkehren. Nie haben Menschen Größeres geleistet und gelitten als Ihr. Im Namen des deutschen Volkes tiefinnigen Dank und noch einmal herzlichen Willkommengruß in der Heimat."


Österreich

In Österreich im Kriegstagebuch des Generaloberst Arz,  las sich die Dolchstoßlegende so  (das nebenstehende Bild ist von dort):

 

„Jäh, wie vom Blitze gefällt, ist Österreich-Ungarns alte und ruhmreiche Armee nach vierjährigem, bewundernswertem Ringen mit einer Welt von Feinden, als das Reich zertrümmert und alle Bande gelöst waren, zusammengebrochen. Dank der Tapferkeit und dem Heldenmute der Truppen war es ihr gelungen, den Feind überall über die Grenzen des Reiches zurückzuwerfen und, tief im Feindesland stehend, einen festen Damm zu errichten, an dem sich die Wellen der feindlichen Angriffe immer wieder brechen sollten. Wenn dieser Damm durch die Länge der Zeit und die zersetzenden Einflüsse des Hinterlandes schließlich geborsten ist, so war dies nicht Schuld der Armee. Diese hat ihre Pflicht getan. Ehre ihrem Andenken.“

 

Arz hatte gute Gründe für seine Version: ihm wird das Scheitern der Piave-Offensive mit angelastet: im Unterschied zu Deutschland sind allerdings in Österreich die führenden Militärs die Bösen, natürlich stehen auch in dieser Fassung der Legende "die Juden" hinter allem: daß nicht nur die Schlacht verloren ging, sondern auch Südtirol, daß massenhaft k.u.k. Soldaten in italienische Gefangenschaft gehen mussten, von denen viele ihr Leben verloren.

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Das Denkmal

Den Ort der Überquerung der Frontlinie markierte zunächst, bis zu seiner Sprengung 1940, ein Denkmal, auf dem zu lesen war „Hier triumphierte am 7. November um 20:20 die Zähigkeit des Poilus“. (Poilu = volkstümlicher Ausdruck für: frz. Soldat). Das Denkmal, am 8. November 1925 eingeweiht, wurde am 14. August 1940 von den erneut einmarschierten Deutschen gesprengt und am 14. November 1948 erneut enthüllt. Der zentrale Stein stammte aus der Baustelle der Ravennabrücke, einer historischen Eisenbahnbrücke, die das Höllental im Schwarzwald überquert und gegen Ende des Krieges von deutschen Soldaten gesprengt worden war.

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