Mark Rutte und der Pudding an der Wand

Gestern hielt ein offensichtlich vollkommen überforderter Premierminister Rutte seine wöchentliche Pressekonferenz und wurde von den anweseneden Journalist*innen fast vollkommen filettiert - wie sich die Autoren des rechtspopulistischen Internetportals "Geenstijl" (kein Anstand) zu Recht ausdrücken. Der Versuch der Journalist*innen, Mark Rutte eine klare Aussage zu entlocken, war wie der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Das schafften sie nicht und wurden deswegen auch mit der Zeit ungehalten, was "Geenstijl" dann entsprechend hämisch kommentierte: Mark Rutte habe Angst vor "dem Bürger". Das Video wurde auf deren Website eingebunden. Ich dokumentiere hier die wichtigsten Aussagen. Zuvor stelle ich, nach dem "Bürgerkomitee" zwei weitere Sturmgeschütze der Kampagne vor, Geenstijl und Geenpeil:

 

Geenstijl und Geenpeil

Geenstijl (kein Anstand) ist ein mittlerweile kommerzielles Weblog, gegründet 2003, das mittlerweile vollständig der Telegraaf Media Groep gehört, einer niederländischen Medienholding, der Zeitungen wie "de Telegraaf" gehört, der ebenfalls für das "Nein-Lager" trommelte, Zeitschriften und Gratiszeitungen herausbringt und demnächst auch im Bereich Mobiltelefone und Teletext aktiv werden will. Der Wahlspruch: "Tendenziös, nicht fundiert und überflüssigerweise verletzend". Es wird in den niederländischen Medien als rechtslastig bis rechtspopulistisch bezeichnet, konnte sich allerdings gegen den Vorwurf guter Beziehungen zu Rechtsextremisten juristisch erfolgreich wehren. Massive Provokationen hält man dort für Meinungsfreiheit - eine Schlagzeile über einen missliebigen Provinzbürgermeister, enthielt problemlos die Aussage: "jij bent en lul". "Lul" hat im Deutschen die gleiche Übersetzung wie das russische "Huylo", alles klar? Voll subversiv und politisch inkorrekt, nicht wahr? 

Geenstijl übt auch den gleichen denunziatorischen Stil wie in Deutschland diverse Verschwörungsblogs, das größte, schönste und islamkritischste Weblog oder die Antideutschen. Kostprobe gefällig?

"...wie debil die EU auf der Organisationsebene arbeitet. Das ist Zuhälterei und Verschwendung auf allerhöchstem Niveau. Ein bürokratisches Bordell, in dem alles möglich ist, vor allem das Abrechnen. Die teuersten Autos fahren. Noch was abrechnen. Lunchen mit Champagner. Abrechnen. Wenn Europarlamentarier für jedes Mal, bei dem sie etwas abrechnen, auch nur einen Euro bekommen, können sie sich von diesem Geld alle einen Maserati kaufen."

Geen Stijl hat nach eigenen Angaben 284579 "Mitglieder", ich nehme an, es sind Abonnent*innen gemeint, aus deren Kreis die "IT-Experten" (nrc.handelsblad) kamen, die die ganze Referendumskampagne mit dadurch zum Erfolg führten, daß sie eine App entwickelten, mittels derer man sich an einer Unterschriftenkampagne beteiligen konnte, die dem Referendum vorgeschaltet war. À la bonheur! Das mit der App kann man sich mal merken...

 

Geenpeil (unberechenbar), in dieser Kampagne sozusagen der Aktionsarm von Geenstijl und dem Bürgerkomitee, wurde 2014 gegründet, als Wahlbeobachter-(Stimmennachzähler)Initiative bei der damaligen Europawahl. Gegründet von Pepijn van Houwelingen und Arjan van Dixhoorn. Geführt wird Geen Peil von Geenstijl-Redakteur Bart Nijman, Sprecher ist "Geenstijl-TV-Gesicht" Jan Roos, der seinen früheren Arbeitgeber extra deswegen verlassen hat, um sich prominent an der Kampagne zu beteiligen.

Sie seien schon damals in den Wahllokalen euphorisch begrüßt worden. Damals mussten ihre Berechtigung, Stimmen zu zählen, noch einklagen. Beim jetzigen Referendum wandten sie sich gar an die OSZE und baten um die Entsendung unabhängiger Wahlbeobachter (sic!). Es wären für die Ja-Kampagne Spenden aus dem Ausland eingegangen, namentlich eine von George Soros. Wer es noch nicht mitbekommen hat: George Soros ist, besonders in "antiimperialistischen", Verschwörungstheoretiker-  und "islamkritischen" Kreisen eine beliebte Chiffre um den angeblichen äusseren Einfluss auf unerwünschte politische Prozesse zu behaupten und zu diskreditieren. Die Chiffre ist austauschbar mit "Rothschild", mithin antisemitisch.

Hier ist das Video, mit dem sich "Geenpeil" auf seiner Website vorstellt. Besonders die Kausalkette über die Ukraine weist die Herr- und Damenschaften als Putinversteher aus. Einfach mal angucken und die englischen Untertitel anklicken.

 

Mark Rutte unter Feuer

Geradezu triumphierend wurde die heutige Pressekonfenz von Premierminister Mark Rutte von Geenstijl durch den Kakao gezogen, das Video ist auf der Website eingebunden.

Mark Rutte macht keine gute Figur, aber die Interpretation, er habe Angst vor dem Bürger - ich weiss nicht... Die anwesenden Journalisten (von Geenpeil mit dem Goebbels-Ausdruck "Journaille" belegt) versuchen herauszubekommen, wie Rutte mit dem Ergebnis des Referendums umgeht. Vorher gilt es allerdings für Ihn, dem "Nein-Lager" zu gratulieren. Sie hätten

 

"sehr überzeugend gewonnen". Und sie hätten es:

"Knap gedaan", also gut gemacht.

Das einzige Statement, das er sich auf die Frage nach den Konsequenzen entlocken ließ, war, man müsse jetzt "Schritt für Schritt" vorgehen und:

"Wie ich bereits gesagt habe: wir können jetzt nicht mehr so ohne Weiteres ratifizieren".

 

Als Hauptbedenken, gegen das Assoziierungsabkommen hätten bei der Bevölkerung eine Rolle gespielt, daß man fürchte, daß dieses Abkommen die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU beschleunige und - daß das Abkommen, bzw. der Artikel über die militärische und technologische Zusammenarbeit eine Sicherheitsgarantie (!) für die Ukraine bedeute. (Man hätte die Bedenkenträger ja beruhigen können: die Ukraine hatte schon mal eine Sicherheitsgarantie  für die sie sich letztendlich nichts kaufen konnte - Sarkasmus.off) Diese Aussage wiederholt er mehrmals, auch einem russischen Journalisten gegenüber, der ebenfalls wissen will, was bei der Abstimmung eine Rolle gespielt habe.

 

Man werde sich zunächst im Kabinett beraten, dann "vertraulich" mit den Europäischen Partnern - was von den Journalisten bissig mit dem Begriff "Hinterzimmer" belegt wird. Obwohl die Organisatoren des Referendums schon längst die Katze aus dem Sack gelassen haben, nämlich, daß es eben nicht um die Ukraine ging (auch darüber werde ich noch berichten), klammerte sich Premierminister Rutte an dieser Interpretation fest. Sein Mantra während der gesamten Pressekonferenz, auch nach der Frage, ob ihn dieses Ergebnis überrascht habe, war, er werde das jetzt nicht beantworten. Es lägen jetzt viele Optionen auf dem Tisch ...

 

"Welche?" - "Das werde ich Ihnen jetzt nicht beantworten, das würde den jetzt anstehenden Prozess gefährden."

 

Die gesamte Pressekonferenz glich dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln, was letztendlich nicht gelang. Mark Rutte machte einen vollkommen überforderten Eindruck und hatte sicher mit einem "Nein" nicht gerechnet und auch dafür keinen Plan B, oder A2 in der Tasche. Ach ja, auch auf die Frage, ob er denn ein Szenario, wie er mit einem "Nein" umgehe vorbereitet habe, verweigerte er die Antwort:

 

"Sage ich jetzt ,nein', denken Sie, ich täte nichts, sage ich ,ja', suchen Sie nach dem Szenario..." - Antwort aus dem Publikum: "Das werden wir sowieso tun..."

 

Zusammenfassung

Ich denke, die Folgen dieses Referendums sind allgemein vollkommen unterschätzt worden: von Regierung, Presse und Bürgern, mögen sie nun mit "ja", "nein", oder überhaupt nicht abgestimmt haben. Das war nicht mal eben ein "Denkzettel" für die Regierung oder die EU, das war die Lunte, erstens an die Einheit der Niederlande, zweitens an die EU. Besonders einige aus dem linksliberalen "Grachtengordel", der niederländischen Intellektuellenszene, scheinen sich gedacht zu haben, ist doch egal, wie ich stimme und jetzt habe ich mal Bock mit "nein" zu stimmen, denn das hat ja keine Konsequenzen, die Ratifizierung steht. Die Ratifizierung steht eben nicht, was nicht nur den bei der Pressekonferenz anwesenden Journalisten, sondern auch Mark Rutte klar war. Es wird erhebliche Konsequenzen haben - die heute in ihrer Gesamtheit noch nicht abzusehen sind. Für die für den 17. März 2017 terminierten Parlamentswahlen sehe ich schwarz, sehr schwarz...

Wem dieses Referendum wichtig war, kann man am Medieninteresse sehen: RT Deutsch und Ruptly waren bei Auszählung und "Siegesfeier" über mehr als drei Stunden live dabei.