Nachkriegsblonde Türkinnen, und die Europäischen Werte, oder so. Teil 2

Nach Studium und Studentenjobs an der Uniklinik Düsseldorf und Praktischem Jahr im Düsseldorfer Nobelvorort Benrath bekam ich meine erste Assistentenstelle auf der gynäkologischen Abteilung eines damals nicht so noblen Krankenhauses im Ruhrgebiet. Wir hatten naturgemäß eine Menge türkischer Patientinnen, einfache Frauen, deren Männer einst als Bergleute aus der Türkei geholt worden waren - ein Knochenjob. Die Familien waren meistens bei der Bundesknappschaft versichert, die den Frauen nach meiner Erinnerung nach einer Entbindung 2 Tage weniger zum Erholen zugestand, als damals die anderen gesetzlichen Krankenkassen. Und wir hatten viele deutsche Privatpatientinnen, da unser Chef einen sehr guten Ruf hatte.

Bildnachweis: Symbolfoto (c) WELT, "Türkinnen in Marxloh".

 

Ich und das Kolonyaları

Mit den Privatpatientinnen hatte ich natürlich nichts zu schaffen. Als blutige Anfängerin wurde ich von den Hebammen sozusagen durch die Entbindungen geführt. Bald fand ich die "türkischen Entbindungen" viel cooler und auch viel lustiger. Das, was wir da nicht kannten. fanden wir, freundlich betrachtet, oft lustig, so die kräftige Wöchnerin, die sich nach jeder Wehe beidhändig auf den Hintern haute und "Allahu akbar" rief, die "10-para" (10.Entbindung), die sowohl Kind als auch Placenta ganz souverän ohne unsere Hilfe nach draussen beförderte, oder die Schwiegermutter, die uns, nachdem sie ihr Kopftuch Sturmtrupp-artig umdekorierte, ebenfalls auf die hinteren Plätze verwies.

Bildnachweis: Symbolfoto (c) www.kazdaglari.name.tr/Kazdağ Kolonyaları

Doch es gab schon einiges, das nicht so freundlich betrachtet wurde. Beispielsweise hatte es sich eingebürgert, daß ein Dreierzimmer zwar im Bedarfsfall mit zwei Deutschen plus einer Türkin, aber niemals mit zwei Türkinnen und einer Deutschen belegt werden könne.Und ja, wenn türkische Wöchnerinnen mit Kopftuch in den Kreißsaal kamen, zogen die Hebammen mit einem schnellen Griff das Kopftuch runter, "...ich will das ganze Gesicht sehen ..." Und ich, die junge Anfängerin dachte, wenn die das so machen, muß das ja wohl richtig sein ... Und machte es bald genauso. - "...ich will das ganze Gesicht sehen ..."- sagte soeben jemand "Burka"?

Und beim gemeinsamen Kaffeetrinken erfuhr man dann die neuesten Schrägheiten: eine 25-jährige 11-Para - "ja, so läuft das bei denen, so welche gibt es viele - mit 15 gekauft und mit 25 zehn Blagen am Hals ...", die Wöchnerin, die so dermaßen auf den letzten Drücker kam. da sei das Kind im Aufzug "in die Pluderhose geplumpst", die meisten "unserer" Türkinnen trugen damals nämlich noch Pluderhosen. Und ich musste einmal doch tatsächlich eine Beschwerde bearbeiten, die Türkinnen würden sich so exzessiv waschen und duschen. Wie ich das bearbeitet habe, weiß ich nicht mehr, ich bin jedenfalls nicht eingeschritten. Bei der nächsten Beschwerde wurde es mir dann zu blöd. als ich dagegen einschreiten sollte, daß die türkischen Patientinnen sich großzügig an ihrem Duftwasser, Kolonyaları, bedienten. da habe ich auf stur geschaltet, ich verstünde das Problem nicht. Bei der nächsten Visite habe ich mich dann demonstrativ im Zimmer hingestellt: "Whow, hier riecht es aber gut...". Da sollte ich zunächst sagen, welches der Geruch war, der mir so gefiele. Duftprobe an allen drei Flaschen, ich wollte mich natürlich nicht entscheiden, Ergebnis: ich kriegte alle drei Flaschen geschenkt, die türkische Community hatte in Zukunft ein passendes Geschenk, falls man die junge Frau Doktor mal beschenken wollte und ich bald einen schier unerschöpflichen Vorrat an türkischen Duftwässern - für meine deutsche Umwelt schier zum Naserümpfen! Irgendwann war die Provokation nicht mehr so interessant für mich, ich stieg auf "ordentliches" Parfüm um, mit dem ich mir dann, anlässlich des Assistierens bei einer "Vaginalen" - der Operateur sitzt und man selber steht zwischen den Beinen der Patientin - einen Rüffel ein: wenn ich hier nochmal so penetrant nach meinem türkischen Duftwasser stinken würde, würde ich sofort aus dem Op geschickt, "...einfach eine Zumutung, so ein billiges Parfüm, gönnen Sie sich doch mal was Anständiges...". Nun, da war es kein türkisches Duftwasser, sondern Yves Saint Laurent, Opium. Scripted Perception ( durch äussere Einflüsse veränderte Wahrnehmung) ...

 

 

Das Gerücht vom türkischen Mädchenverbrühen

Als ich in die Chirurgie gewechselt bin und in der Ambulanz tätig war, hatten wir auch mit häuslichen Unfällen zu tun, unter Anderem auch Verbrennungen und Verbrühungen, auch von kleinen Kindern. Bald kannten wir alle die türkische Erste-Hilfe-Maßnahme schlechthin: Joghurt - wir mokierten uns entsprechend, obwohl Joghurt ein anerkanntes Hausmittel ist...

Und dann stand die Polizei bei uns auf der Matte: man habe einen Hinweis bekommen (von wem kam nach meiner Erinnerung nie heraus), daß wie auffällig viele verbrühte türkische Kleinkinder behandelt hätten und ganz überwiegend kleine Mädchen. Ich wurde gefragt, und ja, auch meine Wahrnehmung war, obwohl ich das weit von mir gewiesen hätte, mittlerweile "scripted". Ich bestätigte das, ja, mir käme das auch so vor. Gottseidank wurde ein türkeistämmiger Sozialarbeiter und der Hoca der benachbarten Moschee eingeschaltet. Das Ergebnis war beschämend - auch für mich! Die in der Tat vermehrten Unfälle hatten nämlich einen ganz praktischen Grund: die Eltern hatten beschlossen, sich "deutsch" einzurichten: mit einem hohen Tisch und hohen Stühlen. Und zieht sich so ein kleines Kind an so einem Tisch hoch, kann es natürlich - im Gegensatz zum niedrigen, "türkischen" Tisch, nicht sehen, ob da der Samowar steht. Die neuen, hohen, "deutschen" Möbel waren in vielen der Unfälle der Grund. Und ja, es waren gleichermaßen kleine Jungs wie kleine Mädchen betroffen. So entstehen Narrative...

 

Akuter Bauch und Waffenbrüder

In meinem nächsten Krankenhaus hatte ich einen jugoslawischen Chef und mehrere jugoslawische Kolleg*innen. Dort war ich, als der Ramadan durch seine längsten Tage lief. Das Übernachtungszimmer führte auf einen Hof, gegenüber war eine Moschee. Bei einer Frühbesprechung verkündete mein serbischer Kollege, die Nacht sei unerträglich gewesen, die Türken hätten wieder fast die ganze Nacht "gewimmert" - es werden wohl Illahis gewesen sein, was ich damals noch nicht wusste. Irgendjemand wusste beizutragen, es sei gerade Ramadan, und da würden sie sich nachts "vollfressen". Und dann kämen sie an mit "aua Bauch" und nervten. (Der fachliche Hintergrund: Im Bereitschaftsdienst nennt man sowas "akuter Bauch" und es muß zwingend noch während der Nacht "abgeklärt" werden. Das fanden dann alle rücksichtslos und eine der Schwestern wusste noch zu bemerken, daß "die" ja die hervorragende deutsche Medizin überhaupt nicht zu schätzen wüssten: hier pampig und zu Hause müssten sie tagelang auf dem Esel reiten um einen Arzt überhaupt zu Gesicht zu bekommen.

Als ich das zu Hause erzählte, meinte mein Vater, ja, die Leute auf dem Balkan hätten halt mit den Türken noch eine Rechnung offen: Türkenjoch, Knabenlese ... "Aber wir Deutschen haben mit Türken absolut keine Probleme, schließlich waren das im Ersten Weltkrieg unsere Waffenbrüder. Dein Opa..." und es folgte die Geschichte vom Opa, der in Konstantinopel in ziemlich inferiorer Stellung sicher nur inferiore Dienste verrichtet habe. Nix Aleppo, nix erhängte Armenier.  Ja, von Konstantinopel habe der Opa immer geschwärmt. Und der Ratschlag: bei einem jugoslawischen Chefarzt und jugoslawischen Kollegen - Klappe halten! Für uns waren die Türken Waffenbrüder und gut. Man würde eben etwas häufiger auf dem Markt beim Türken einkaufen, weil "das Gemüse ist wirklich gut, das können die..." .

Wenn ich mir das jetzt in der Rückschau ansehe, will mir scheinen, daß die Verschärfung des Klimas ein langsamer, schleichender Prozess war. ich glaube nicht, daß primär bei den Deutschen antitürkische Ressentiments da waren, jedenfalls nicht mehr, als gegenüber den "Gastarbeitern" aus anderen Nationen. Sie waren da, bauten Kohle ab, verrichteten Schwerstarbeit, sie nahmen es hin, die Deutschen nahmen es hin. Ich denke auch nicht, daß die Stimmung akut gekippt ist, sondern das ging schleichend, allerdings von den Medien forciert. Davon mehr im nächsten Teil...

wird fortgesetzt