Neues von der Kopftuchfront - Teil 1

„Frauen befreien“ geht als Begründung und Ablenkung eigentlich immer, auch wenn man ein ganz anderes Ziel vor Augen hat. So hieß ein Pamphlet, das am Ende des 19. Jahrhunderts erschien: „Befreit die Türkin“ – zeitgleich war man dabei, den „kranken Mann am Bosporus“ zu zerlegen.  In den zwanziger Jahren zogen die Bolschewiki in den muslimischen Ländern den „hujum“ durch: die gewaltsame Entschleierung der Musliminnen in den Ländern ihres Machtbereichs.

Atatürk verbannte das Kopftuch ebenfalls, genau wie der erste Pahlevi. Die angebliche Befreiung schlug sehr schnell in Unterdrückung um, sie ließ die Frauen  ärmer an Entwicklungsmöglichkeiten zurück. Der Diskurs hat sich gewandelt: die vormals unterdrückte Muslima wurde zur hartnäckigen Integrationsverweigerin, aber wenn sie integriert ist, und gar Karriere Macht, wie Sawsan Chebli, hebt sogleich der Verdächtigungsdiskurs an Es ist für die Muslima essenziell: sie ist irgendwie falsch.  Aus der Kiste geholt wird sie immer dann, wenn es gilt, von wichtigeren Fragen abzulenken. Exemplarisch standen einige Frauen schon im shitstorm, als der noch analog war. Die Frauenbefreier*innen stehen in einer langen Unterdrückungstradition, die sich aktuell auch und gerade im Sport und in der Politik austobt.

 

Bildnachweis: INAMO, Informationsprojekt für den Nahen und Mittleren Osten.

 

Der Shitstorm gegen Sawsan Chebli

 

Die studierte Politologin Sawsan Chebli ist eine gebürtige Palästi-nenserin, eines von 13 Kindern einer Flüchtlingsfamilie, mit SPD-Parteibuch, die sich jetzt, nachdem sie seit 2014 stellvertretende Pressesprecherin von Aussenminister Steinmeier war, im Berliner Senat soll sie sich jetzt um die Koordination der Senatsarbeit mit der Bundespolitik kümmern, eine Aufgabe, mit der sie sich, wenn erfolgreich abgearbeitet, sicherlich für noch höhere Aufgaben qualifiziert.

Ausserdem hat sie das Projekt Juma, das sich für die Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe junger Muslim*innen einsetzt und u.a. von der Bosch-Stiftung gefördert wird, gegründet und maßgeblich vorangetrieben. Juma ist mittlerweile auch auf europäischer Ebene gut vernetzt.

Doch in Presse und sozialen Medien wurde bereits ein Shitstorm gegen sie losgetreten, der umso bemerkenswerter ist, als eine andere Personalie - gottseidank! - ohne Probleme durchging: der Stadtsoziologe Andrej Holm,der als einern seiner Schwerpunkt die (Abwehr der) Gentrifizierung in Berlin und andernorts hat und der 2007 zeitweise wegen Terrorverdacht in Haft war und mittlerweile zu Recht als rehablitiert wird, wird Staatssekretär für Wohnen.

 

Die Personalie Chebli jedoch sorgt für erheblichen Wirbel. In den sozialen Medien wird, angetriggert von der etablierten Presse, wie oben ersichtlich, gegen Chebli polemisiert, man ist "extrem verstört" etc. Und jene, die am liebsten jeder Straftat von jemand Migrationshintergrund, einen ARD-Brennpunkt widmen würden, zeigen sich genervt, weil Chebli so "gehyped" werde. Der gesamte Shitstorm stützt sich ganz wesentlich auf zwei Äusserungen in einem gemeinsamen FAZ-Interview, zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister, die man jetzt versucht, zu skandalisieren - Hier zunächst, was sie über die Sharia gesagt hat:

 

Das sehe ich genauso wie sie: "Alle reden über Scharia, aber kaum einer weiß, was das bedeutet. Und das hat sie über das Kopftuch gesagt:

 

Aus meiner Sicht stimmt auch das. Und das machen die Medien daraus, an einem Beispiel aus der BZ - die Kommentare dazu stammen von einer Freundin die sie mir per mail geschickt hat, hier kann man sehr gut sehen, wie die Medien sich das  Mißtrauen gegen sie redlich verdienen - nur falls noch mal jemand um die Ecke kommt und beklagt, daß die Migranten sich zuviel über Medien im Heimalland informieren:

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Müllers Neue sorgt für Ärger
Pseudoobjektiver Artikel über Sawsan Chebli in der BZ, filettiert.
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Im Sport sieht es nicht anders aus:

 

Sport gehört zum muslimischen Erbe

Vom Propheten Muhammad wird berichtet, daß er mit seiner "Lieblingsfrau" A'isha um die Wette lief. Zu seiner Zeit seien die Frauen für Sport "nicht zu begeistern" gewesen, aber schon damals trieben die Männer begeistert Sport - in Sportarten, die bis heute - nicht nur - auf der arabischen Halbinsel  zu finden sind. Der Prophet empfahl das Sporttreiben ausdrücklich mit dem Hinweis, daß es für einen Muslim besser sei, fit als unfit zu sein.         

Als ich 1993 anlässlich eines Muslimtreffens in der Imam-Ali-Moschee in Hamburg für die Brüder ein morgendliches Joggen an der Alster organisiert und für die Schwestern eine Gymnastikstunde zu Trommelbegleitung im Gebetsraum abhielt, kam die Kombination Muslim*innen und Sport noch ziemlich speziell rüber, heute ist das Normalität, daß auch Muslim*innen Sport treiben. Auch bei den Spitzensportler*innen, auch und besonders in der Leichtathletik. Einzelne Verbände, wie z.B. der Handballverband sperren sich noch zu 100%. Doch andere Verbände, wie das Olympische Komitee der USA sind da schon weiter: die Fechterin Ibtijah Muhammad, Tochter Afroamerikanischer, zum Islam konvertierter Eltern, war in Rio die erste US-Athletin, die in ihrer Disziplin (Säbelfechten) mit Hijab antrat. Bei den Olympischen Spielen in London traten erstmals Athletinnen aus Saudi-Arabien an: die 800-Meter-Läuferin Sarah Attar und die Judoka Wojdan Shaherkani, beide von den Zuschauern bejubelt. Hier (Min 1:03) ist der Jubel des Publikums zu hören, als, beim Kampf gegen die Puertorikanerin Melissa, der Hallensprcher Shaherkani ankündigt als "erste saudische Athletin überhaupt". Shaherkani hatte allerdings zunächst um ihr Kopftuch kämpfen müssen.

 

Handball und Kopftuch: Sura al-Shawk und Bilqis Abdul-Qaadir

Seit 2010 ging die Geschichte der damals 19-jährigen Gymnasiastin Sura al-Shawk durch die Medien. Sura war neun Jahre zuvor mit ihrer Familie aus dem Irak geflohen.

Nach fünf Jahren und mehreren Umzügen in der gesamten Schweiz wurde sie in Luzern seßhaft, begann sich für Basketball und für ihre Religion zu interessieren. Ersteres führte dazu, daß sie sich einer Basketball-Mannschaft anschloss, den Juniorinnen des STV Luzern, zweiteres, daß sie sich vor anderthalb Jahren entschloss, ein Kopftuch anzulegen.  Schaute man sich in den Videos des Schweizer Fernsehens die Familie an, so sah man einen Vater, der als Autohändler sein Geld verdient und den beiden Töchtern ihre Entscheidung lässt: Sura für das Kopftuch, ihre Schwester dagegen. Als die Mannschaft in die interregionale Ebene aufstieg, entschloss sich der  zuständige Verband, der Nord-Ostschweizer Basketballverband „ProBasket“, Sura die Teilnahme an Wettkämpfen zu verbieten – wohlgemerkt: nur an Wettkämpfen. Das Kopftuch sei zu unfallträchtig – wohlgemerkt: nur bei Wettkämpfen und verstoße gegen das Neutralitätsgebot des Sports – auch dies nur bei Wettkämpfen. Eine Entscheidung, die alsbald auch vom nationalen Verband mitgetragen wurde.

2011 hat auch ein Gericht vor einer Verhandlung gegen Sura entschieden – ihr war Prozesskostenhilfe verweigert worden und sie sah sich außerstande, das finanzielle Risiko zu tragen und gab auf.

Zwar absolvierte sie noch eine Trainerausbildung, coachte die U13-Auswahl ihres Verbandes, doch anscheinend hat sie das Kopftuch ganz aufgegeben: mittlerweile bei einem Juwelier in Zürichs vornehmer Bahnhofstraße beschäftigt, findet man offen im Internet ihr bei Xing gepostetes Bild - mit offenen Haaren.

Mehr findet man von ihr im Internet nicht mehr. Die europäischen Werte haben gesiegt, oder so. Sicher kann sie mit ihren arabischen, muttersprachlichen Kenntnissen den "Burka"-tragenden reichen Kundinnen vom Golf bei deren Einkäufen behilflich sein.

 

Bilqis Abdul Qaadir ist nicht nur eine Spitzen-Handballerin, sondern auch eine hervorragende Uni-Absolventin. Einen Bachelor-Abschluss in Gesunheitsmanagement hat sie schon, gerade arbeitet sie für einen Master-Abschluss als Trainerin.Zusammen mit 13 anderen, herausragenden US-Muslim*innen wurde sie von Präsident Obama empfangen, der sie "eine Inspiration für uns alle" nannte. Jetzt möchte sie auf internationalem Level Handball-profi werden: mit Hijab, doch die FIBA, die internationale Handball-Assoziation sträubt sich noch.

 

Wie der Leistungssport, so der Breitensport: letzten Sommer wurde das Burkine-Verbot als Mediensau durchs Dorf getrieben. Auch als das ursprünglich in einigen südfranzösischen Badeorten erlassene Burkini-Verbot in Frankreich längst wieder gekippt war, lief die Mediensau in Deutschland weiter, nachdem sich einige Bade- und Bürgermeister aus der Deckung wagten. Hier,  und hier. Und natürlich ist auch die Schweiz dabei.

Priceless übrigens in einer fb-Diskussion die selbsternannte Feministin, die in einem Kommentarthread auf meiner Seite einer anderen Frau, die geäussert hatte, sich wegen ihrer Figur in Badeanzügen unwohl zu fühlen, riet, dann möge sie doch abnehmen, was den bereits diskreditierten Feminismus für mich endgültig auf den Platz eines besitzstandswahrenden Mittelschicht-Gadgets verweist.

Gelobt sei der Kapitalismus: nicht nur türkische Firmen, sondern auch Amazon die Sportbekleidungskette SPEEDO und ein großes Berliner Sanitätshaus haben die Zeichen der Zeit erkannt und bieten Burkinis an - übrigens aus dem gleichen Material wie Badeanzüge.

 

Als letztes: erfunden wurde der Burkini in Australien; um die Musliminnen dort zum Schwimmen zu animieren, was funktioniert habe. Mittlerweile brumme das Geschäft. Mittlerweile avancierte der Burkini auch zum Diensotfit für die Rettungsschwimmerinnen am Strand.

"Die Hunde bellen, die Karavane zieht weiter... " Wirklich?

Wird fortgesetzt.