Nachkriegsblonde Türkinnen, und die Europäischen Werte, oder so. Teil 1

Unstreitig sind die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland schwer gestört, was ich persönlich sehr bedaure. Das heißt NICHT, wie mir in den sozialen Netzwerken bereits unterstellt wurde, daß ich Erdogan bedingungs- und besinnungslos verteidige, mir geht es ganz wesentlich um den Umgang mit den hier lebenden türkeistämmigen Menschen, und der ist aus meiner Sicht mehr als kritikwürdig.

Bildnachweis: Eine der profiliertesten und populärsten türkischen Sängerinnen, Sezen Aksu,

(c) sezenaksu.com.tr

 

Oberleutnant Ernst Schatz

Ich will mich hier nicht als Türkeiexpertin aufblähen, was ich definitiv nicht bin; Islamexpertin bin ich auch nicht, das überlasse ich denen, die nach der Fußball-EM anscheinend von Bundestrainer umgeschult haben. Ich will auch kein Wissen vortäuschen, das ich nicht habe, es geht mir hier um meine persönlichen Erfahrungen und die Schlüsse, die ich daraus ziehe. Und die Verpflichtung, die ich aufgrund meiner Familiengeschichte empfinde.

Wie ich schon mehrfach erwähnt hatte, war mein Großvater während des Ersten Weltkriegs im Osmanischen Reich stationiert, möglicherweise in Aleppo, möglicherweise sogar beim kaiserlich-deutschen Geheimdienst, möglicherweise verwickelt in die armenische Tragödie. ich hoffe, ich werde eines Tages noch mehr herausfinden. Das nebenstehende Bild hat angeblich er gemacht - so jedenfalls mein Vater - und heute liegen die Rechte bei AFP. Sollte das wirklich wahr sein, dann wäre er sehr nahe an diese Hinrichtung herangekommen und hatte dann wahrscheinlich auch mit dieser Hinrichtung zu tun. Mein Vater hat mir erzählt, daß auf seine Nachfrage, was denn das für Männer am Galgen seien, er gesagt habe: "Armenische Verräterschweine". Auf die Nachfrage, warum er denn sowas fotografiert habe, nur: "Meine Sache!" Und auf Nachfragen, was er denn genau gemacht habe: "Ich stand frontal gegen die Angriffe des Lawrence." Daß es dahinter irgendetwas geben muß, was sich auch mein Vater verpflichtet fühlte, zu verbergen, schließe ich daraus, daß er mir zunächst eine andere, unverfänglichere Geschichte erzählt hat und erst später mit den "richtigen" Infos rausrückte...

Jedenfalls fühle ich mich genau deswegen (auf)gefordert, für Fairness gegenüber der Türkei einzutreten - und die gibt es aus meiner Sicht schon lange nicht mehr.

Bildnachweis: (c) AFP, mutmaßlich Hinrichtung armenischer "Spione", mutmaßlich in Aleppo während des Ersten Weltkriegs

 

Kardinal Frings, die "Türkenallee" und "40 qm Deutschland".

KardinalnFrings, auch aus anderen Gründen bei den Kölner*innen sehr populär,  hatte 1965 den Kölner Türken den Dom für Ihr Ramadan-Festgebet geöffnet. Die ZEIT schrieb damals:

 

"In den nördlichen Seitenschiffen des Doms feierten mehrere hundert Mohammedaner das Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan. Auf den Steinfliesen des Kölner Doms wurden die Gebetsteppiche ausgebreitet; das Haupt gen Mekka geneigt, sprachen die Türken ihre Gebete. Ein Imam leitete den Gottesdienst im Schatten der christlichen Kreuze und Symbole, der Altäre und Statuen. Gastarbeiter, die sich keinen Teppich unter den Knien leisten konnten, hatten Zeitungen mitgebracht ... Das Kölner Domkapitel hatte im Einverständnis mit Kardinal Frings, einem der „Fortschrittler“ des II. Vatikanischen Konzils, der türkischen Gastarbeitergemeinde die Erlaubnis gegeben, das Ramadan-Ende im Dom zu begehen."

Mir wurde erzält, die Kölner Türken hielten den Namen von Josef Kardinal Frings bis heute in hohen Ehren.

Zweihundert Meter von unserer Schule entfernt war die Keupstraße, damals schon von vielen "die Türkenallee" genannt. Einer meiner Schulfreunde, heute Anwalt, wohnte dort, seine Eltern hatten dort eine Metzgerei, fand es schon damals peinlich, dort zu wohnen. Aber dort in der Pause in die Teestube zu gehen, fanden wir damals aufregend. Meine Mutter und viele Kölner kauften dort auch gerne ein, und es wurde allgemein das qualitativ bessere Sortiment an Obst und Gemüse gepriesen. Zugegeben, es hatte was von "Gemüsehandel können die ja..." Die Keupstraße galt, nach meiner Erinnerung immer als Ort geräuschloser Integration und wurde, nach meiner Erinnerung auch nie als Ghetto betrachtet. Veilleicht wurde sie genau deswegen als Ort eines Nagelbombenattentates des NSU? Eben weil dort Integration zumindest ansatzweise funktioniert hat?

Meine Eltern fanden die "Gastarbeiter" vollkommen normal, aber es gab keinen Anlass, den "Gastarbeitern" erhöhte Aufmerk-samkeit zu widmen. Sie waren da und sie blieben hier und gut...

 

Bildnachweis: © Christoph Brammertz @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Daß doch nicht alles so easy going war, fiel spätestens bei der Auseinandersetzung um den Film "40 qm Deutschland" auf: der Film wurde mehrfach ausgezeichet, als "wichtig" bezeichnet, sollte, wie der Regisseur mitteilte, zum Kennenlernen einer bislang in Deutschland unbekannten Kultur verhelfen. Daß es Türken gab, die dagegen demonstrierten, nahm am zur Kenntnis. Mehr nicht. Das war aus meiner Sicht der Beginn des Narrativs von der stets unterdrückten Türkin, die als Ehefrau stets in der Türkei irgendwie eingekauft und dann importiert wird. Necla Kelek wird diesen Narrativ später zur Vollendung führen.

Bildnachweis: http://media.sinematurk.com

Als Eskalation empfanden meine Mutter und ich, daß, als die Ausstrahlung in derARD bevorstand, in der damals aktuellen EMMA empfohlen wurde, zum Fernsehabend eine türkische Nachbarin einzuladen (sic!). Ja, damals hielt ich die EMMA noch für ein Medium, das man gelesen haben muss. Jetzt schon lange nicht mehr...

Nachkriegsblond

Das war alles noch zur Zeit der ersten Generation, wie auch die folgende Geschichte, die mir die türkische Mutter eines meiner Freunde erzählt hat. Die Mama ist mittlerweile pensionierte, leitende Op-Schwester der Uniklinik einer deutschen Großstadt. Ende der sechziger Jahre hatte diese Großstadt 40 türkische Krankenschwestern angeworben. Die jungen Damen bekamen in Ankara mit Hilfe der deutschen Botschaft so eine Art Einweisung auf Deutschland. Bis zum Abflug seien noch ein paar Tage Zeit gewesen, und da sei man auf die Idee gekommen, sich die Haare blond zu färben, weil alle angenommen hätten, mit blonden Haaren den Deutschen besser zu gefallen. Bei der Beschreibung des Ergebnisses verwandte die Freundesmutter den Begriff "nachkriegsblond", ein Synonym für "schlecht gemacht und billig aussehend", ein Begriff aus der deutschen Nachkriegszeit eben. Eben nicht so, wie die unvergleichliche Sezen Aksu, von der ich oben ein Bild eingefügt habe. Was sie nicht wissen konnten: Vertreter ihrer neuen Heimatstadt waren am Flughafen erschienen um sie in Empfang zu nehmen. Zum Empfangskomitee hätten auch der Reporter einer Illustrierten und ein Fotograf gehört; man habe eigentlich für diese Illustrierte eine Homestory machen wollen, doch mit diesen schlecht blondierten Haaren ... Letztendlich habe es aber doch, nachdem die Haare wieder zurückgefärbt worden seien, doch geklappt mit der Homestory.

 

Gerade diese Geschichte ist für mich kennzeichnend für gegenseitige Mißverständnisse, oft in beiderseitigem besten Willen. Leider hat es sich mittlerweile fortgesetzt in vielen Bereichen zum Schlechten entwickelt. Zum Schaden beider Seiten ...

Wird fortgesetzt.