Universität Löwen oder die deutsche Schuld im ersten Weltkrieg

Nach dem unsäglichen Statement das Alexander Gauland heute wieder abgelassen hat, und des absichtsvollen Mißverstehens der heutigen Friedens- und Gedenkfeier in Paris als "Siegesfeier, möchte ich klarstellen, daß für mich Deutschland, in Gestalt unserer Kanzlerin, sehr wohl auf diese Feier gehört.

Ich habe in der Überschrit ganz bewusst nicht "am", sondern "im" ersten Weltkrieg geschrieben. Die Thesen Fritz Fischers sind in der Tat unter Historikern immer noch umstritten, deswegen befasst sich dieser Artikel auch nicht mit der Frage, "wer hat angefangen", da diese Frage für mich müßig ist. Hier bin ich ganz bei Christopher Clark, der in seinem Buch "Die Schlafwandler" beschrieben hat, daß - zumindest in der Anfangsphase - jeder der Akteure es in der Hand hatte, die Eskalation anzuhalten.
Mir geht es darum, aufzuzeigen, wo Deutschland aus meiner Sicht wirklich "zentrale Schuld" auf sich geladen hat: erster Bombenabwurf auf ein Wohngebiet (6.8.1914 Lüttich), erster Einsatz von Giftgas, Einsatz von Massenvergewaltigungen als militärisches Mittel (gegen französiche und belgische Frauen, Verschleppung von Zivilist*innen zur Zwangsarbeit nach Deutschland, sowohl aus dem Westen als auch aus Russland. Eine besondere Barbarei, die auch gesondert im Versailler Vertrag gewürdigt wurde, war die Vernichtung der Universiätsbibliothek von Löwen/Louvain/Leuwen:

Das Bewusstsein um den völkerrechtswidrigen Einfall in das neutrale Belgien zum Zweck der Umgehung der befestigten französischen Grenze und ein neues Infanteriegewehr, das auf große Entfernung noch traf, und die unerwartet heftige Gegenwehr der als „Praliné-Soldaten“ (=Weicheier) geschmähten belgischen Soldaten ließen in den Deutschen die Paranoia gegenüber angeblichen „franctireurs“, Heckenschützen, wachsen. Dazu kam die von zu Hause importierte Verachtung alles Katholischen („Papisten“) seit Bismarcks Kulturkampf die man auf die Stadt und Universität Löwen übertrug und so den Katholizismus und die katholische Geistlichkeit als Treibkraft hinter dem Widerstand der Belgier halluzinierte.

 

 

Als den Soldaten eines deutschen Checkpoints in der Innenstadt des besetzten Löwen (Louvain, Leuwen) am Abend dieses Tages Kugeln um die Ohren pfiffen, hatten sie folglich auch nur diese eine Erklärung; sie beschossen die Häuser, aus denen ihrer Meinung nach die Schüsse kamen und brannten zunächst diese, danach weitere Häuser nieder. Dabei brannte auch die Universitätsbibliothek mit ihren  1.000 Handschriften, 300.000 Büchern und 800 Wiegedrucken (Inkunabeln) vollständig aus.  200 Männer wurden ohne Gerichtsurteil erschossen, Frauen und Kinder nach Deutschland verschleppt, die Stadt am 29. August vollständig niedergebrannt.

 

Dieses und andere den Deutschen zur Last gelegte Kriegsverbrechen markiert nach Meinung vieler Historiker einen Umschlagpunkt in der Kriegführung: waren die Kriege der Vergangenheit noch recht unemotionale Entscheidungskämpfe, die an Soldaten auf einem „Schlachtfeld“ delegiert wurden und die Zivilbevölkerung unberührt liessen (Clausewitz: „Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“), so wird jetzt die Zivilbevölkerung zunehmend mit einbezogen. Die „Repressalien“ (angeblich völkerrechtskonforme Vergeltungsmaßnahmen ) in Löwen  betrafen  fast ausschließlich Zivilisten.

 

Der Name „Löwen“ als  emblematisch für deutsche Kriegsgreuel klang der Welt in den Ohren wie eine Generation später die Namen Lidice und Guernica.

Nach Artikel 247 des Versailler Vertrages verpflichtete sich Deutschland, den Verlust durch gleichwertige Bücher zu ersetzen, als Kompensation für die verlorenen Kunstwerke mußte Deutschland den legal in deutschem Besitz befindlichen „Abendmahlsaltar“ des niederländischen Malers Dierk Bouts und das Triptychon „Die Anbetung des Lamms“ , auch „Genter Altar“ genannt, der flämischen Brüder Jan und Hubert van Eyck an  Belgien übergeben.

Der Text des Artikels 247:

  Deutschland verpflichtet sich, an die Hochschule zu Löwen binnen drei Monaten nach Empfang der ihm durch Vermittlung des Wiedergutmachungsausschusses zugehenden Aufforderung Handschriften, Wiegendrucke, gedruckte Bücher, Karten und Sammlungsgegenstände zu liefern, die der Zahl und dem Werte nach den Gegenständen entsprechen, die bei dem von Deutschland verursachten Brande der Bücherei von Löwen vernichtet worden sind. Alle Einzelheiten dieser Erstattung werden von dem Wiedergutmachungsausschuß bestimmt.
  Deutschland verpflichtet sich, durch die Vermittlung des Wiedergutmachungsausschusses binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrags an Belgien, um ihm die Wiederherstellung zweier großer Kunstwerke zu ermöglichen, abzuliefern:
  1. die Flügel des Triptychons der Brüder van Eyck "Die Anbetung des Lammes" ("Agneau mystique"), früher in der Kirche Sankt Bavo in Gent, jetzt im Berliner Museum;
  2. die Flügel des Triptychons von Dierk Bouts, "Das Abendmahl", früher in der Kirche Sankt Peter in Löwen, von denen sich jetzt zwei im Berliner Museum und zwei in der Alten Pinakothek in München befinden.

 

Am 16. Mai 1940, wurde die wiedererbaute Universitätsbibliothek von den Deutschen, die zum zweiten Mal widerrechtlich in Belgien einmarschiert waren, durch ein weitreichendes Artilleriegeschoss zum zweiten Mal zerstört.