Die Stadtratte - oder: Menschenverachtung im deutschen Sprachraum

Die Nazis verglichen die von ihnen zur Vernichtung freigegebenen Gruppen gerne mit Parasiten: Sinti und Roma, "Asoziale", und besonders die Juden. Sie führten seinerzeit in den neuzeitlichen Diskurs die Gleichsetzung von Menschen mit Ratten ein. Aktuell wird das Ratten-Bild von der FPÖ Brau- nau (!) wieder bemüht. Naja, zum Geburtstag des bekanntesten Sohnes der Stadt am 20. April ... nein, es war ja ein Ostergruß! Doch dieser menschenverachtende Diskurs wird nicht erst seit gestern geführt, Schon 2010 nahm Thilo Sarrazin, unterstützt von der BILD, die Freiheitskämpfer-Klartext-Pose ein. Mittleerweile ist vieles, was er damals zum Besten gab, auch dank der öffentlich-rechtlichen Medien, die zwecks Quote immer noch die entsprechenden Leute zu Talkshows einladen. Die Schweizer Goal-AG mit ihrem Chef Segert, die im Kontext von umstrittenen Wahlkampfspenden an die AfD genannt wird, trat seit dem Jahr 2009 in der Schweiz und Österreich in einschlägigen Kampagnen u.a. mit einem widerwärtigen Ballerspiel, schon mehrfach in Erscheinung. Im gesamten Diskurs werden aus antisemitischen Kampagnen entlehnte Bilder bemüht.

 

Ratten, überall Ratten

Im Rahmen des islamkritischen Diskurses führte die italienische Journalistin Oriana Fallacials erste in neuerer Zeit das Ratten-Bild aus der Eingangssequenz des „Ewigen Juden“ an. Dieser Film ist zwar nicht als "Vorbehaltsfilm" gelistet, doch darf ebenfalls nur in einer sachkundig kommentierten Fassung öffentlich vorgeführt werden. Und aus rechtlichen Gründen kann ich keinen Link setzen - das wäre strafbewehrtes "Zugänglich-Machen". Aber wer suchet, der findet.

 

In diesem Film sieht man in den ersten 15-20 Minuten, wie sich – anhand sich über Landkarten ausbreitender, recht deckungsgleicher Pfeile – Juden und Ratten gleichermaßen von Asien über die Welt ausbreiten. Ratten und Juden sind gleichermaßen Parasiten: „Die Juden sind ein Volk ohne Bauern, ohne Arbeiter, ein Volk von Parasiten…“ (12‘43‘‘)…Ratten stellen das heimtückische, unterirdische Element der Zerstörung dar – nichts anderes, als die Juden unter den Menschen. (18’18).“

 

Auch Oriana Fallaci stilisierte sich als mutige Tabubrecherin, als sie schrieb (die Kraft der Vernunft, S. 57):

"Tatsache, dass der Koran in einer Frau vor allem einen Bauch zum Gebären sieht. Man riskiert den bürgerlichen Tod, wenn man dieses Thema anschneidet. Im unterjochten Europa ist das Thema der islamischen Fruchtbarkeit ein Tabu, an das niemand zu rühren wagt. Wenn du es versuchst, landest du geradewegs wegen Rassismus-Fremdenfeindlichkeit- Blasphemie vor Gericht. Nicht zufällig gehörte zu den Anklagepunkten des Prozesses, der mir in Paris gemacht wurde, ein brutaler Satz – das gebe ich zu – , mit dem ich mich ins Französische übersetzt hatte. „Ils se multiplient comme les rats.“ – „Sie vermehren sich wie die Ratten.“ 

Die "stärkere Vermehrung Minderwertiger" wurde von Milosevic im Kosovo in Stellung gebracht und spielt heute im Migranten- und Muslimfeindlichen Diskurs - nicht nur in Deutschland eine Rolle. Aber das ist ein anderes Thema. Die Fankurve zumindest in Deutschland hatte noch versucht, um den Rattenvergleich herum zu eiern, aber bitte: Fallaci hatte sich ja selbst ins Französische übersetzt.

Bildnachweis: viele Internetquellen

Die Nächsten, die der Ratten-Gleichsetzung zu Medienwirksamkeit verhalfen, waren Familie Gaddafi, Vater Muammar, Sohn Saif al-islam und deren antiimperialistische Fankurve.Zum Beispiel:

“Geht zur Hölle Ihr Ratten und NATO...“, 

was dann als "NATO-Ratten" in den stehenden Wortschatz der selbsternannten Kämpfer für Gaddafi Eingang fand, wie im Blog des selbsternannten deutschen Gaddafi-Sprechers S, aus dem ich   -  aus dem Eintrag vom 12.10.2011 die eingebundene Passage ausgeschnitten habe.

 

Die FPÖ und die Ratten

Und mit diesem Bild habe ich dann die Überleitung zur FPÖ: Familie Gaddafi und Familie Haider waren eng befreundet, aber auch sonst hatte die Familie gute Kontakte zur FPÖ, die 2011 - wohl zur moralischen Aufrüstung - einen Emissär geschickt, der eine Solidaritätsbotschaft von Parteichef Strache übermittelte.

Auch das sei nur am Rande vermerkt. Bekanntermaßen sitzt die blaue FPÖ jetzt zusammen mit den Türkisen des Wunderwuzzi Kurz in der Regierung, und zusammen. Der Standard schreibt dazu:

"Die ÖVP-FPÖ-Koalition in Wien war im ersten Jahr ihres Bestehens vor allem durch demonstrative Geschlossenheit aufgefallen". 

Herr Kurz fiel seit dem eher durch Stillschweigen, oder maximal ein paar müde Sätzchen  zu den Unappetitlichkeiten seines Koalitionspartners auf. Seinen letzten Sätzen zur übergroßen Nähe zu den rechtsextremen Identitären, anlässlich einer durch den Christchurch-Attentäter an Identitären-Chef Martin Sellner überwiesenen 1.500-Euro-Spende, waren erstens ziemlich lahm und wurden zweitens von der FPÖ schicht ignoriert. Jetzt scheint er etwas aufgewachter zu sein, denn die FPÖ Braunau (sic!) ist, in zeitlicher Nähe zum Geburtstag des in Braunau geborenen "Führers" auch der seinerzeitigen Alpen-und-Donau-Gaue, mit dem Gedicht "die Stadtratte" aufgefallen:

Bildnachweis: Salzburger Nachrichten,  SN/APA (ARCHIV)/JAEGER ROBERT

Sinnigerweise wünscht die FPÖ Braunau damit Frohe Ostern. 

 

Das Schweizer Ballerspiel

Doch es ist nicht das erste Mal, daß einer Ortsgruppe der FPÖ so dermaßen die demokratische Maske vom Gesicht fiel. Im September 2010 geriet die FPÖ mit dem folgenden, dem damals populären Ballerspiel nachempfundenen "Moorhuhn" in die Schlagzeilen:

Bildnachweis: verschiedene Internetquellen

Ich habe mir wirklich lange überlegt, ob ich dieses Video einbinde, aber ich denke, so kann sich jedeR selber ein Bild machen.  Diese Geschmacklosigkeit wurde unter dem Namen "Minarett- Attack" bei der Schweizer Anti-Minarett-Kampagne eingesetzt, und bei einer Landtagswahl 2010 brachte es der steirische Spitzenkandidat und FPÖ-Chef unter dem Namen "Moschee baba" unters Volk, was ihm ein Verfahren wegen (Volks-)Verhetzung einbrachte. Er wurde allerdings letztendlich freigesprochen. Der Stern hat das Spiel damals besser beschrieben, als ich das könnte:

Der Kampf gegen die "Islamisierung der Steiermark" kann übrigens virtuell nicht gewonnen werden. Unweigerlich scheitert der "Moschee Ba Ba"-Spieler nach einer gewissen Zeit. Die Flut von Moscheen und Minaretten reißt einfach nicht ab. Das Spiel geht verloren, es erscheint der Wahlkampfaufruf: "Die Steiermark ist voller Minarette und Moscheen! Damit das nicht geschieht: Am 26. September Dr. Gerhard Kurzmann und die FPÖ wählen!" 

Selbstverständlich wurde auch damals, als das Spiel verboten und vom Netz genommen wurde, von "Zensur" geplärrt, mqn müsse ja auf die "Musels" Rücksicht nehmen und dürfe ja schon nicht mehr sagen. Heute wird dieses "man darf es ja nicht sagen", von der AfD und sonstigen Besorgten ebenfalls reichlich bemüht, ohne daß sich die Herr- und Damenschaften der antisemitischen Wurzeln dieses angeblichen "Denkverbots" bewusst sind:

Schon 1922 veröffentlichte Henry Ford sein Pamphlet „der internationale Jude“ ausdrücklich mit dem Anspruch, die „Zensur“ zu durchbrechen, dass man in zu kritisierenden Zusammenhängen Juden nicht einmal beim Namen nennen dürfe, damit nicht offenbar würde, wo sie überall ihre Finger drin hätten. Das spiegelt sich heute in der Behauptung, man dürfe z.B. bei Berichten über Kriminalität die Herkunft der Täter nicht nennen, damit nicht offenbar würde, dass die Mehrzahl von ihnen „mohammedanische“ Migranten sei. Die BILD-Zeitung vom 4. September 2010 greift das Thema auf drei Seiten wieder auf, das seit 2015 noch an momentum gewann..

„Vergleichen bedeutet nicht, gleichsetzen…“ , deswegen hier ein Ausschnitt aus dem antisemitischen Pamphlet des Henry Ford und die Titelgrafik der BILD-Zeitung. Dass Ford auch „beweist“, dass „die Juden“ per se integrationsunfähig seien, sei nur am Rande erwähnt.

Bildnachweis: Henry Ford "Der ewige Jude" 1922, s. 22/ BILD 04.09.2010

Das Ballerspiel und sein Schöpfer

Geschaffen wurde das Spiel von dem, der auch die gesamten Kampagnenplakate, mit denen die Schweizerische SVP/UDP in den letzten Jahren die Negativschlagzeilen holte, dem Werbeunternehmer Alexander Segert, dessen Plakate auch der Anti-Minarett-Kampagne 2009 zum Erfolg verhalfen. Segert ist ein gebürtiger Deutscher. Das Schäfchenplakat hat auch Nachahmer, zum Beispiel die hessische NPD und den Vlaams Belang. Das „Moschee-Spiel“ wurde von Alexander Segert an die FPÖ verkauft, die allerdings bestreitet davon überhaupt eine Kopie zu haben.

Herr Segert sei, so das Portal "lobbypedia" ein "enger Freund" von AfD-Chef Meuthen. Er betreibt die PR-Firma GOAL AG, über die die verdeckte Wahlkampfhilfe für die AfD gelaufen sein soll. Nicht nur der Spiegel und die Tagesschau sondern auch weitere Medien haben sich dieser Verbindung bereits gewidmet. Die Vorwürfe über die Wahlkampfhilfe sind noch nicht in letzter Konsequenz substantiiert, der freie Fluss der Ideen und Narrative schon.

Nachtrag: das Ballerspiel-Video, mit dem der, der es hochgeladen hat, die angebliche Zensur durchbrechen wollte, ist seit 2011 unbeanstandet bei youtube abrufbar.