Familie Schatz am Schwarzen Meer - Teil 1

Ich möchte hier berichten, was drei Generationen einer Familie, meiner Familie, im deutschen Militär am Schwarzen Meer erlebten. Dabei lasse ich auch meinen 2008 verstorbenen Vater ein letztes Mal zu Wort kommen. Ihm habe ich noch das Bloggen beigebracht, leider zu spät, aber es  gelang mir immerhin noch, ihn zum Aufschreiben seiner wichtigsten Erinnerungen zu bewegen – der an den Zweiten Weltkrieg, wozu auch die Liebe zu einer Bulgarin gehört.



Mein Großvater, Oberleutnant Ernst Schatz, das Osmanische Reich und die Armenier

Unsere Familien-(Militär)- Geschichte beginnt jedoch mit meinem 1942 verstorbenen Großvater, einem Artillerieoffizier, der im Osmanischen Reich diente. Ernst Schatz wurde nach 1918 demobilisiert, und versuchte dann sein Glück als selbständiger Fabrikant, was infolge der Weltwirtschaftskrise gründlich schief ging und ihn zwang, seinen 1920 geborenen Sohn vom Gymnasium wieder abzumelden. Viel habe ich von meinem Großvater nie erfahren, nur so viel: in seinem Arbeitszimmer habe neben einem Panorama-Bild von Konstantinopel ein Bild einer Hinrichtung gehangen, von dem, wie mein Vater berichtete, mein Großvater gesagt habe, das seien armenische „Verräter“, von den Briten trainiert und dann gegen das osmanische Reich geschickt. Er habe gesagt, er habe „direkt gegen Lawrence“ gekämpft. Das Bild, das mein Vater meinte, wurde in Aleppo aufgenommen – also muß mein Großvater unter von Seeckt gedient haben, dem letzten deutschen Kommandeur der „Palästina-Front“. Es kann vermutet werden, daß er, wenn er dieses Bild wirklich aufgenommen hat und so nahe an diese Hinrichtung herankommen konnte, auch mit dieser Hinrichtung zu tun hatte. Sein letzter Dienstgrad sei "Oberleutnant" gewesen, so mein Vater. Damit könnte er eine Kompanie (120-200 Mann) geführt haben und diese Kompanie könnte mit dem Absichern der Hinrichtung betraut gewesen sein. Ich werde dem mal nachgehen, wenn es in Istanbul wieder ruhiger ist.



Die böhmische Migrantin

Heimgekehrt aus dem Krieg heiratete er meine Großmutter, die mit ihrer Familie aus dem Habsburger Reich sozusagen als „Migrantin“ nach Krefeld gekommen war. Die Familie aus dem Reich der Österreichischen Habsburger Herrscher muß sich als kaisertreu empfunden haben – meine Oma hieß mit Vornamen Maria Theresia. Nach dem Zerfall des Habsburger Reiches bekamen alle die Pässe der neuen tschechischen Republik mit Ausnahme derjenigen Familienmitglieder – meiner Oma und ihrer Schwestern – die qua Heirat schon Deutsche waren. Man kam überein, man sei sudetendeutsch, was nach 1938 das einzig Richtige schien.

 

Es gab auch für den Rest deutsche Pässe: man war ja auf der Siegerstraße. Nur eine spielte nicht mit: die jüngste der vier Schwestern heiratete einen Niederländer, zog nach Amsterdam, war während des Krieges im Widerstand, legte sich einen Akzent zu, der den von Rudi Carell und Linda de Mol weit in den Schatten stellte, und mischte jede Familienfeier auf, wenn sie darüber lauthals nachdachte, wie sich denn "aufrechte Tschechen unter das Joch eines deutschen Passes" hätten beugen können (nur fürs Protokoll: nach dem Krieg galt nicht als deutsch, wer als DeutscheR geboren war, sondern wer sich in einer von den Nazis durchgeführten Volksabstimmung dazu erklärt hatte. Es sollen sich auch Tschechen zu Deutschen erklärt haben. Analog wurde im damaligen slowakischen Landesteil ebenfalls eine Abstimmung durchgeführt: wer erklärt sich zum Slowaken, wer zum Ungarn und die Ungarn wurden nach dem Krieg ebenso vertrieben wie die Deutschen). s.  Beneš-Dekrete.


§6 der Beneš-Dekrete:

"Als Personen deutscher oder magyarischer Nationalität sind Personen anzusehen, die sich bei irgendeiner Volkszählung (!) seit dem Jahre 1929 zur deutschen oder magyarischen Nationalität bekannt (!) haben oder Mitglieder nationaler Gruppen, Formationen oder politischer Parteien geworden sind, die sich aus Personen deutscher oder magyarischer Nationalität zusammensetzen.“

 

Flieger Schatz im ersten Heimaturlaub mit Eltern

 

 

"Oberfeld" Schatz - Rebellion bis zum Endsieg

1938 meldete sich mein Vater freiwillig zum Militär („Isch hadd Angs‘ isch köhm zem Endseech ze schpät“) und bekam die Chance, sich in einer Veranstaltung der Wehrmacht, die man heutzutage als „assessment center“ bezeichnen würde, auch ohne Abitur zum Offizier zu qualifizieren. Mit dem „Fachlichen“ schaffte er es auch, doch beim „Verhalten“ fiel er gnadenlos durch: er ließ es an nationalsozialistischer „Haltung“ mangeln. Da die Wehrmacht aber auf seine Beteiligung am Endsieg nicht verzichten wollte, wurde er für die „Feldwebellaufbahn“ eingeplant. Die lief normalerweise so, daß man zuerst zum Gefreiten befördert wurde und dann in die Ausbildung ging. „Nur die schrägen Vögel“ seien auch noch Obergefreiter geworden. Mein Vater auch. Was auch daran gelegen haben mag, daß er aus der Grundausbildung in Ostpreußen eine – offene – Feldpostkarte schickte, auf der neben dem Satz „Vom kalten Arsch des Reiches grüßt Euer Sohn“, zusammengefaßt das Gleiche stand wie auf dem so hysterisch skandalisierten Poster an der Tür der Linkspartei-Abgeordneten Ploetz: „Hier ist alles doof“. Frau Ploetz hätte ihm mit Sicherheit gefallen. Im Zusammenhang damit – und dem Versuch von interessierter Seite, dieses Poster zur „Verhöhnung deutscher Soldaten“ hochzujazzen – sei übrigens darauf hingewiesen, daß „Frontschwein“ damals, sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg ein Ausdruck des Respekts war: ein „Frontschwein“ war so schnell durch nichts zu erschüttern und wusste immer Rat. Wer’s nicht glaubt: Wikipedia. Erich Maria Remarque hat "Frontschwein" Stanislaus Katczinsky ein literarisches Denkmal gesetzt. Also muß man bei Frau Ploetz' Schweinderl auch nicht zwingend Schnappatmung bekommen.



Elena

„Im Frühjahr 1942 wurde ich zu einem Sondereinsatz nach Sofia abkommandiert. Hier lernte ich ein bulgarisches Mädchen – Elena – kennen. Sie sprach fliessend 5 Sprachen und gehörte der bulgarischen Oberschicht an. Ihr Abitur machte Elena bei der Deutschen Schule in Sofia. Vor allen Dingen gefiel mir ihre moralische Einstellung.
Den ersten Kuss erhielt ich erst nach einigen Wochen und wir hatten uns so ineinander verliebt, dass wir beschlossen zu heiraten."

Das Verlobungsfoto seht Ihr hier.

 

Der Vater von Elena zeigte in einer Zeitung unsere Verlobung an.
Diese Anzeige geriet in die Hände unseres Fliegerhorst-Kommandanten. Dieser bestellte mich zum Rapport und kanzelte mich ab mit den Worten:
"Schämen Sie sich nicht als Deutscher einer Slawin die Ehe zu versprechen?"
Er befahl mir - was er gar nicht durfte - die Verlobung sofort zu lösen. Ich weigerte mich, diesem Befehl nachzukommen und wurde - was er auch nicht durfte - zu 30 Tagen verschärften Arrest verdonnert. – Bei Wasser und Brot!
Da die Sowjets im Osten durch die deutschen Linien gebrochen waren, konnte ich mir vorstellen, was sie mit Elena als Verlobten eines Deutschen machen würden. Ich gab Elena Nachricht, sich sofort mit meiner Mutter in Verbindung zu setzen und nach Köln zu fliehen. Dieses geschah dann auch. Elena fand wegen ihrer Sprachkenntnisse bei der damaligen AEG sofort eine Anstellung als Dolmetscherin.
Jedoch machten ihr und meiner Mutter die Bombardierungen von Köln soviel zu schaffen, dass meine Mutter beschloss, mit Elena in ihre alte Heimat, das Sudetenland, zu übersiedeln. Der nun wieder von den Tschechen eingesetzte Bürgermeister gab meiner Mutter den Rat, solange es noch möglich sei, nach Deutschland zurückzukehren.
Meine Mutter hatte inzwischen nämlich den Bescheid erhalten: ‚Gefallen für Grossdeutschland.‘ Ich galt also für tot…

 

Genauer gesagt: meine Oma hatte sich in ihre Geburtsstadt Tetschen-Bodenbach, heute Děčín-Podmokly, geflüchtet und wollte dort wieder als Tschechin gelten. Doch dann hatte man herausgefunden, daß sie - vermutlich wegen ihrer Wahl bei der oben erwähnten Volksabstimmung - als Deutsche zu gelten hatte.

 

Als meine Mutter Elena fragte, ob sie mit zurück nach Köln kommen möchte, meinte diese, da ich nicht mehr lebte, was sie denn in Köln solle. Ich hatte später nun versucht, von Elena etwas zu erfahren, aber die Tschechen ließen keine Post nach Deutschland.
Ich glaubte, Elena sei wieder in Bulgarien und mein Gefühl sagte mir, daß sie noch lebte. Endlich, nach Beseitigung des Kommunismus, konnte ich mit dem bulgarischen Konsul Verbindung aufnehmen. Über ihren Bruder erhielt ich Bescheid, dass Elena in der Nähe von Wien lebte, und ich meldete mich dort sofort. Die Freude war gross, Elena war mit einem Tschechen verheiratet, hatte 2 Kinder und hat mich hier in Köln besucht.
Meine nunmehrige Ehefrau liebte ich sehr, aber das Schicksal meiner ehemaligen Verlobten liess mir 40 Jahre keine Ruhe. Nun endlich hatte ich mein Ziel erreicht.

Leider ist Elena 2004 am 3. Herzinfarkt gestorben.

 

Elena hat ihn dann noch mal in Köln besucht - von meiner Mutter mit Argusaugen bewacht. Als sie ging, versuchte er sich noch mal als Kavalier: "Elena, sag Deinem Mann, ich danke ihm sehr für seine Erlaubnis, mich noch mal zu treffen" (Handkuss). Darauf die Traumfrau: "Werner, ich benötige niemandes Erlaubnis, ich mache, was ich für richtig halte!" Da muß wohl ein Traum geplatzt sein - eine Frau, die macht, was sie für richtig hält? Meine Mutter muß die Szene höchst amüsiert beobachtet haben und meinte später zu mir: "Männer! Ich mache seit über 50 Jahren nur das, was ich für richtig halte. Dein Vater hat es bis heute nicht gemerkt..."

Fortsetzung folgt.