Ukraine-Tagebuch_2015, Tag 01

Ich bin endlich mal selber in die Ukraine gereist, um mir selber ein Bild zu machen. Ich hoffe, daß ich jeden Tag dazu komme, zu berichten, was ich erlebt habe, und wie das auf mich wirkt. Heute also über die Anreise und den ersten Tag in Kyiv. Zumindest den Mythos von der Unterdrückung der russischen Sprache kann ich jetzt schon dekonstruieren.


Allgäu-Airport Memmingen


Irgendwie habe ich es geschafft, einigermaßen sortiert zum Flughafen zu kommen (Allgäu-Airport Memmingen) und auch fast nichts zu vergessen.


Der Allgäu-Airport Memmingen steht auf dem Gelände des ehemaligen BW-Flughafens Memmingerberg.Seit ich das letzte Mal - ich glaube, 2006m- von Memmingen abgeflogen bin, hat sich eine Menge geändert.

Zunächst wurde der Flughafen lange von der TUI angeflogen und der Schwerpunkt lag auf innerdeutschen Flügen. Das hatte sich anscheinend nicht gerechnet, der Flughafen ging den Bach runter und schien sich zu einer Art "Landrats-Gedächtnis-Flughafen zu entwickeln - von den Ferienfliegern der TUI mal abgesehen. Aber anscheinend haben sie sich berappelt. Jetzt fliegen nach meinem Eindruck sehr viele Maschinen von Ryanair und Wizz-Air. Ein nettes irisches Ehepaar hat mir mit meinem Rucksack geholfen.



Ein Wort zu Wizz-Air


(...nein, bezahlt werde ich jetzt  nicht dafür...). Wizz-Air ist eine ungarische Fluggesellschaft, die zur Zeit schon viele Flüge von Memmingen aus abwickelt und ihr Streckennetz auch sonst weiter ausbaut. Ich würde das Angebot als "Billigflieger auf hohem Niveau bezeichnen". Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt in jeder Hinsicht. Es gibt, wie bei allen Billigfliegern, ein Basisangebot, der Rest muß dazugebucht und extra bezahlt werden. Ich habe mir an Nettigkeiten u.a. das Priority-Boarding, den Premium-Seat (erste Reihe, größere Beinfreiheit).


Die Maschine war proppenvoll. Ich sah viele ukrainische Pässe. Russische Pässe habe ich keine gesehen. Während die ukrainischen Pässe ja petrolblau sind, sind die russischen fast so bordeaux wie die Eu-Pässe. Daran mag es auch gelegen haben.


Was mir doch tatsächlich in den Kopf kam: die Überlegung, daß diese Maschine, voll mit Ukrainern und anderen auf dem Weg nach Kyiv, doch ein lohnendes Ziel für eine BUK wäre - vor gerade mal anderthalb Jahren wäre mir sowas nicht eingefallen...


Ukrainische Pässe ... Auf einem Poster vor den Gates 5-7 wirbt Wizz-Air immer noch für die zweite Destination, die einst von Memmingen aus direkt angeflogen werden konnte: Donezk.


Ukrainische Pässe ... Wie unterhielten sich denn diese Ukrainer untereinander und mit den Flugbegleitern? Russisch! Und was war die Sprache, in der - neben Englisch - die Flugbegleiterinnen ihre Ansagen machten? Russisch! Zum Mitschreiben: in einer Maschine, in der eine Menge Ukrainer*innen sitzen und die nach Kyiv fliegt, wird überwiegend Russisch gesprochen! Der Vollständigkeit halber: es wurde ein kosher package, bestehend aus Fischaufstrich, Zwieback, Toast und Tee angeboten, unter halal firmierte ein Käsesandwich. So offiziell habe ich das noch bei keiner anderen Gesellschaft gesehen. Da ich denke, daß es wichtig ist, Firmen aus Ost- und Mitteleuropa zu unterstützen und Wizz-Air ein gutes Programm hat, denke ich, ich werde in Zukunft immer zunächst gucken, was Wizz-Air so anbietet.



Angekommen

 

In Kyiv Zhulyani, dem stadtnäheren der beiden Flughäfen - der andere ist Borispol - fallen mir erstens die Soldaten auf, die im Durchgangsbereich stehen, eine Handvoll, auffällig unauffällig. Bei der Passkontrolle fällt mir auf, daß die Ausweise der diensthabenden Beamt*innen für jeden gut sichtbar an der Scheibe angebracht sind. Das nenne ich mal Transparenz.

Ich gehe nach draußen, um mir erstmal Griwna fürs Taxi zu besorgen und laufe auf die anscheinend einzige Bank auf, die im Flughafen vertreten ist: die russische Sberbank! Zwar geschlossen, aber draußen war ein Bankomat. Vollkommen benutzerunfreundlich und überwiegend in russisch. Da war ich froh, daß ich noch einen Bankomaten der Raiffeisenbank fand - fünfsprachig.

 

Draußen reagierte ich gleich auf den ersten Taxifahrer, der sich bemerkbar machte und ließ mich in die Polster fallen - ein gravierender taktischer Fehler, wie sich später herausstellte! Während der Fahrt unterhielten wir uns nett, hat sogar mit meinem Überlebens-Pidgin-Russisch gut geklappt und er erklärte mir einige Bauwerke auf der Strecke. Taxifahrer sprach Russisch. Viele Plakate: Russisch.


Man hatte mir gesagt, die Fahrt würde zwischen fünf und sieben Euro kosten. Und hier?



"сорок евро" - Äh, was? "Ja, vierzig Euro". Wie gesagt, mein Fehler...

 

 

Das Hotel Ukraina

 

Ist heute wieder ein schönes, großes gepflegtes Haus, obwohl in den oberen Stockwerken noch Einschußlöcher zu sehen sein sollen. Während der Maidan-Proteste war die Lobby ein Behelfslazarett. Hier nachzulesen. Auf dem Hoteldach schossen bislang unidentifizierte Scharfschützen - möglicherweise Mitglieder russischer Spezialeinheiten -  auf die Protestler. Diese Scharfschützen kosteten letztendlich über einhundert Protestierende das Leben, derer heute als "Himmelshundertschaft" gedacht wird. Die üblichen Verdächtigen beschuldigen allerdings weiter unverdrossen den Rechten Sektor. Und dann wird mittels Zitierkartell auch noch die steilste These zur unumstößlichen Wahrheit... Bilder werden nachgeliefert.

 

Viel habe ich nicht mehr gemacht: Friseurtermin, Verabredungen, Abendessen. Ich habe mich für ein Essen entschieden, das es auch im Rheinland gibt: Kartoffelpuffer, in Köln "Rievkooche" genannt. Das ist eigentlich ein jüdisches Gericht: Latkes.


Irgendwie ist aber der Wurm drin: Kamera kaputt, schwarze Hose vergessen. Für heute reicht das.


Auf den Bildern: Bett, Schreibtisch, Sportzeug.