Saudi-Arabien 2009 - Teil 3: Sklaven, Trompeten und Kardinal Frings

Im dritten Teil berichte ich über noch weitere Dinge, die mir aufgefallen sind und über die Schlüsse, die ich daraus gezogen habe: von der "Religionspolizei", den Sicherheitskräften, meinen Mitreisenden und was das alles mit Josef Kardinal Frings zu tun hat.

 

Das Bild zeigt eines der über dreissig Tore der Prophetenmoschee von Medina, die vor wenigen Jahren erbaut wurde und bei der tonnenweise Gold und lauter - ich glaube - italienischer Marmor verbaut wurde.

Über die Ordnung in und um die Moschee wacht die Religionspolizei, an den Toren meistens schwarz verhüllte Frauen, die nach meinem Eindruck dazu gehörten. Ich hatte meinen Pass, die unsäglichen Traveller-Schecks und das meiste Geld in einem Brustbeutel um den Hals, was sich unter dem Kopftuch ausbeulte. War für die Damen aber praktisch: jedesmal, wenn ich die Moschee betrat, brachte mich ein Schlag gegen den Brustbeutel zum Stehen.

 

Religionspolizei

 

Jedesmal musste ich den Brustbeutel vorzeigen, dann noch schnell in einem Nebenraum einen Klappstuhl fassen, woran ich jedesmal gehindert wurde, wenn ich zu spät dran war. Irgendwann beschloss ich, lieber im Hof vor der Moschee zu beten.

Wie ich bereits sagte: an den Eingängen standen überwiegend die Damen, die nach meinem Eindruck zur "Religionspolizei" gehörten, auch wenn berichtet wird, weibliche Religionspolizisten gebe es erst seit 2012 - ich kann mich aber irren. Die Damen trugen zusätzlich zu dem, was man auf dem verlinken Photo sieht, noch Sonnenbrillen und Handschuhe sowie - ein Namensschild.

 

Die entsprechenden Männer waren eher auf dem Hof der Moschee anzutreffen. Wenn ich in irgendwelchen Grusellberichten lese, sie seien schwarz gekleidet und trügen Knüppel, kann ich das nicht bestätigen. Die Herren trugen Trenchcoat über weißer Dishdasha und eine rot-weiße Kufiye und ebenfalls ein Namensschild. Daß sie in den Straßen patrouillierten, habe ich nicht gesehen.

 

Ich habe den Eindruck, daß bei Polizei, Religionspolizei und Militär sehr viele Schwarze Dienst tun. Das müssten dann ja wohl die Nachfahren der Sklaven sein, die Sklaverei wurde erst 1962 abgeschafft. Nachfahre einer Sklavin zu sein, ist der Karriere nicht hinderlich.

 

 

Medina

 

Als ich das erste Mal in den Häuserschluchten von Medina herumlief, kam ich mir vor wie auf Malle: die meisten Hochhäuser um die Moschee herum schienen mir Hotels zu sein, es gibt ein riesiges Bin Dawood-Einkaufszentrum nahe bei der Moschee und Einkaufsstraßen mit Waren für jeden Geldbeutel und Geschmack: 1-Euro-Läden, Designer-Boutiquen und Geschäfte für eher Traditionelles: Bücher, Weihrauch und Parfüm. Wir waren in einem angenehmen Hotel mit kurzem Weg zur Prophetenmoschee untergebracht und hatten an irgendwelchen über Gebet, Einkaufen und Weiterbildung hinausgehenden Aktivitäten kein Interesse - das war auch viel zu anstrengend.

 

Auf dem Gebiet befindet sich, von außen unter der grünen, der "osmanischen" Kuppel, das Grab des Propheten sowie der beiden Kalifen Umar und Abu Bakr. Eine Besonderheit der wahhabitischen  Religionsauffassung ist, daß man Gräbern keine allzu große Beachtung schenkt, während z.B. für Sufis der Besuch von Gräbern wichtiger Bestandteil ihrer Glaubensauffassung ab. Wahhabitische Muslime lehnen es auch ab, dem Propheten zu sehr zu huldigen, deswegen ist das Prophetengrab, die Raudhah, nur stundenweise geöffnet und vor dem Grab wacht die Religionspolizei darüber, daß man keinen - nach wahhabitischer Auffassung - Unfug treibt. Als uns zu Ohren kam, die Raudhah sei soeben für die Frauen geöffnet worden - nichts wie hin. Riesengedränge und vor dem mit einer Bauplane verhüllten Grab schlecht gelaunte Polizistinnen. Wahnsinnsgedränge und links von mir rasteten die Iranerinnen aus. Von hinten wurde gedrückt wie irre, vor mir fing eine winzige, greise Pakistani an zu beten, natürlich mit Niederwerfung und ließ sich durch die Polizistinnen, die versuchten, dagegen einzuschreiten - keine Anbetung des Propheten! - von hinten drückte die Menge. Ich hatte erhebliche Mühe, mich auf den Beinen zu halten und dachte nur, wenn jetzt meine 100kg auf die Oma fallen, das überlebt die nicht. Ging aber doch alles gut.


Das folgende Video zeigt die Raudhah, das Prophetengrab, wenn mal keine Bauplane davor hängt, die Musik nennt man Naschid - in der streng wahhabitisch/salafistischen Islamauffassung sind sie als sündhaft verboten, da sie angeblich von der Entwicklung der wahren Frömmigkeit ablenken.





Verpflegt haben wir uns übrigens aus den vielen Supermärkten oder aus dem pakistanischen Viertel. Die Stadt, bis 1908 südlicher Endpunkt der hejaz-Bahn dient übrigens ausschließlich der frommen Gelehrsamkeit und dem Gebet.

 

Wenn ich "Weiterbildung" sagte, meine ich die allabendlichen mit sehr viel Engagement ausgearbeiteten Vorträge, denen wir Frauen hinter einer Sichtblende lauschten. Überhaupt: die Reiseleitung steckte sehr viel Herzblut in die Organisation der Reise um uns einiges zu bieten: McDonalds, Vorträge, Exkursionen. Im Großen und Ganzen nahm ich die als nette, engagierte, freundliche, respektvolle und hilfsbereite junge Leute wahr, ein junges Unternehmen, das sich - im Rahmen seiner eigenen religiösen Auffassungen - bemühte, den Kunden ein Pilgerfahrts-Erlebnis zu bieten. Allerdings gab es auf der Reise auch einiges, das mich nachdenklich machte.

 

 

Die Quba-Moschee und die Fahrt nach Mekka

 

In der Quba-Moschee legen die Männer das weiße Pilgergewand an und befinden sich dann im Weihezustand, Iḥrām. Daß die Kids auch ein Pilgergewand in ihrer Größe bekamen, ist reine Pädagogik: sie sollen in ihre Rolle als muslimische Männer hineinwachsen. Religiös sind Kinder bis zum sechsten Lebensjahr zu nichts verpflichtet und danach werden sie schrittweise an die Religion herangeführt.

 

Während der Fahrt soll die Talbiya rezitiert werden, die Frauen leise, die Männer "mit kräftiger Stimme".

 



"Hier bin ich, oh, Allah, Deinem Ruf bin ich gefolgt. Hier bin ich. Du hast keinen Partner, hier bin ich. Wahrlich, alles Lob, alle Gnade und alle Herrlichkeit gebührt Dir. Du hast keinen Partner."


Einer der Brüder, ein blondes, hochaufgeschossenes Kerlchen von höchstens neunzehn Jahren, ging mir dabei mit seiner Art, dieses Gebet zu sprechen, fürchterlich auf die Nerven und ich schämte mich meiner unfrommen Gedanken - aber irgendwas störte mich. Hinterher fand ich in einem tunesischen Text, man(n) solle die Talbiya "mit kräftiger Stimme rezitieren", aber "nicht trompeten". Und das war eindeutig getrompetet.


 

 

In Mekka bin ich dann mit diesem Bruder mächtig zusammengestoßen und das kam so: einer unserer türkischen Mitreisenden, ein respektgebietender alter Herr, Gastarbeiter der ersten Stunde, kam auf Köln zu sprechen und erzählte, die Türken hielten den Namen von Josef Kardinal Frings in hohen Ehren. Der Kardinal hatte nämlich 1965 den Kölner Türken den Dom für Ihr Ramadan-Festgebet geöffnet. Die ZEIT schrieb damals:

 

"In den nördlichen Seitenschiffen des Doms feierten mehrere hundert Mohammedaner das Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan. Auf den Steinfliesen des Kölner Doms wurden die Gebetsteppiche ausgebreitet; das Haupt gen Mekka geneigt, sprachen die Türken ihre Gebete. Ein Imam leitete den Gottesdienst im Schatten der christlichen Kreuze und Symbole, der Altäre und Statuen. Gastarbeiter, die sich keinen Teppich unter den Knien leisten konnten, hatten Zeitungen mitgebracht ... Das Kölner Domkapitel hatte im Einverständnis mit Kardinal Frings, einem der „Fortschrittler“ des II. Vatikanischen Konzils, der türkischen Gastarbeitergemeinde die Erlaubnis gegeben, das Ramadan-Ende im Dom zu begehen."

 

Der Kardinal war - mit seinem damals jungen Assistenten Josef Ratzinger einer der Wegbereiter des zweiten Vatikanischen Konzils gewesen, auf dem sich die katholische Kirche nicht nur mit den Juden versöhnte, sondern auch den Muslimen ihren Respekt erwies. Die Erklärung "nostra aetate" ist eigentlich für Katholiken bindend. Eigentlich ...

 

"Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde (5), der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten.

Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen."

 

 

Alles freute sich an der Geschichte, doch dann ließ sich "Trompete" vernehmen:

 

"Ich hätte lieber in einer dreckigen Fabrikhalle gebetet!" Ich: "Wieso?" Trompete: "Auf jenen, welche in Kirchen beten, ruht der Zorn von Allah!"

 

Da bin ich ausgerastet und habe ihn angebrüllt, wenn Muslime so drauf wären wie er, bräuchte man sich ja über die schlechte Akzeptanz nicht zu wundern. Er solle gefälligst mal den Koran zu Rate ziehen, da stehe explizit drin, daß Muslime auch Kirchen und Synagogen (soll heißen: Christen und Juden) zu verteidigen hätten. Wir hatten uns richtig in den Haaren und man war allgemein auf meiner Seite. "Trompete" ließ sich von nichts beirren und meinte, das sollten wir doch Bruder Hussein entscheiden lassen. Das war einer der Reiseleiter und mein mahram. Mahram ist normalerweise ein mitreisender männlicher Familienangehöriger, bei alleinreisenden Frauen (die sowieso erst ein Visum bekommen, wenn sie älter als 45 sind), einer der Reiseleiter, sozusagen ihr Vormund. Bruder Hussein hörte sich das an und entschied zu meinen Gunsten: Trompete musste sich entschuldigen, da Bruder Hussein befand ich hätte erstens völlig recht, zweitens habe er sich mir gegenüber vollkommen respektlos verhalten. Als Trompete mir dann noch den Merksatz verriet, den Bruder Hussein ihm mitgegeben hatte - ich hatte eigentlich was richtig Islamisches erwartet, bin ich vor Lachen fast geplatzt:

 

"Vor dem Mund-Aufmachen unbedingt Gehirn einschalten."

 

Stimmt.

 

Fortsetzung folgt.