"Man muss es sagen dürfen" - Teil 1

Ich hatte mich andernorts schon vor fünf Jahren zu genau diesen verbalen Entgleisungen geäussert. Und nicht nur ich habe damals vorausgesagt, daß genau des kommen wird, was jetzt gekommen ist und was jetzt von Leuten beklagt und vorgeblich bekämpft wird, die damals fröhlich mitgezündelt haben, wie man an den nebenstehenden screenshots sieht.


"Historischer" Rückgriff


Damals ging es um den Wahlkampf in Österreich und Schweden sowie eine Schweizer Volksinititative für die Wiedereinführung der Todesstrafe und Thilo Sarrazin. Leider ist das ganz und gar nicht "historisch", sondern Gegenwart, und mittlerweile hat auch die Politik gemerkt, was sich da zusammenbraut, aber erst, als es nicht mehr gegen "Pleitegriechen" und Flüchtlinge ging, sondern gegen Politiker - verbal, aber mittlerweile auch mit dem Messer.

Dieses Bild hat am 4. September 2010 einen Artikel der BILD illustriert, in dem man sich für Sarrazin in die Brust warf. Was man sagen können müssen müsse, die "unbequemen Wahrheiten" wurde von BILD verteidigt - über die gesamte Demütigungsrhetorik wurden seitdem schon viele kluge und weniger kluge Dinge geschrieben:


  • „Auf den Schulhöfen muss Deutsch gesprochen werden“
  • Wer Arbeit ablehnt, verdient keine Stütze“
  • „Kinderschänder gehören für immer weggesperrt“
  • „Ich will mich nicht dafür entschuldigen müssen, ein Deutscher zu sein“
  • „Zu viele junge Ausländer sind kriminell“
  • „Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein“
  • „Nicht wir müssen uns den Ausländern anpassen, sondern sie sich uns“

Wie schon Alan Posener in seinem legendären „Bullshit“-Clip schon sehr richtig bemerkte, stilisiert sich jeder Rassist heute als Verkünder von Wahrheiten, die man „bald nicht mehr sagen darf“.

Robert Misik schrieb seinerzeit  über den allgegenwärtigen Sarazzin-Hype, den das Magazin „Stern“ auf seiner Internet-Seite ebenfalls zutreffend beschrieb. Zunächst Misik:

„Skandalös sind aber weniger seine Thesen. Viel skandalöser ist die Aufnahme, die sie erfahren. Wieso muss so ein Machwerk über Spiegel und Bild verbreitet und in Talk-Shows wie Beckmann oder "Hart aber fair" popularisiert werden? Wieso erfährt ein derart krauser Kopf die Ehre, auf zwei Zeit-Seiten interviewt zu werden?... Natürlich weil die Blattmacher wissen, dass es einen gesellschaftlichen Echo-Raum für die kalte Menschenfeindlichkeit gibt, die Sarrazin zum Ausdruck bringt. Weil es Milieus gibt, in denen dieser Rassismus blüht. Weil die Wortführer dieser Milieus, die sich immerzu überall äußern, der schrägen Auffassung anhängen, sie würden von der "Political Correctness" verfolgt. Deshalb schmücken sie sich mit dem Attribut, sie würden "unterdrückte" Meinungen äußern, und behaupten, dass es Mut bräuchte, "Klartext" zu reden. Als gäbe es in unserer Gesellschaft irgendeine Dummheit, die ungedruckt bliebe oder nicht via Trash-Shows ins letzte Wohnzimmer gesendet würde.“
 
„Ob Eva Herman oder Thilo Sarrazin - regelmäßig tobt eine Skandaldebatte durch die Republik. Das Muster: Ein ‚Tabubrecher‘ spricht ‚unterdrückte Wahrheiten‘ aus und radikalisiert sich zunehmend.“ Ich denke, niemandem ist bekannt, dass auch dieser Topos, „…man darf ja nicht alles sagen…“ so neu nicht ist. Schon 1922 veröffentlichte Henry Ford sein Pamphlet „der internationale Jude“ ausdrücklich mit dem Anspruch, die „Zensur“ zu durchbrechen, dass man in zu kritisierenden Zusammenhängen Juden nicht einmal beim Namen nennen dürfe, damit nicht offenbar würde, wo sie überall ihre Finger drin hätten. Das spiegelt sich heute in der Behauptung, man dürfe z.B. bei Berichten über Kriminalität die Herkunft der Täter nicht nennen, damit nicht offenbar würde, dass die Mehrzahl von ihnen „mohammedanische“ Migranten sei.


Henry Ford: Die Judenfrage ...

Die BILD-Zeitung vom 4. September 2010 griff das Thema auf drei Seiten wieder auf. „Vergleichen bedeutet nicht, gleichsetzen…“  -  deswegen hier ein Ausschnitt aus dem antisemitischen Pamphlet des Henry Ford, "der internationale Jude" von 1922 und oben die Titelgrafik der BILD-Zeitung. Dass Ford auch „beweist“, dass „die Juden“ per se integrationsunfähig seien, sei nur am Rande erwähnt. Nebenstehend die Seite 41 des ersten Bandes. (rote Unterstreichungen von mir). Just wegen dieses angeblichen "Judenproblems" gründete Ford seine eigene Zeitung, den Dearborn Independent, der von 1919 bis 1927 erschien und mit der letzten Nummer am 31.12.1927 sein Erscheinen wegen einer Reihe von Anklagen wegen antisemitischer Pamphlete einstellen musste.

Ich habe das Werk, als legaler "wissenschaftlicher Quellentext" bei Amazon angeboten, in Widget unten verlinkt. Wer sich drauf einlässt, kann die Linien, die bis ins Heute reichen, erkennen.

 

Ratten lechts, Ratten rinks

 





Und oft sind es Leute, die als „links“ apostrophiert wurden, die diesen Echo-Raum bilden, oder erst eröffnen. Oriana Fallaci führte als erste das Ratten-Bild aus der Eingangssequenz des „Ewigen Juden“ an. In diesem Film sieht man in den ersten 15-20 Minuten, wie sich – anhand sich über Landkarten ausbreitender, recht deckungsgleicher Pfeile – Juden und Ratten gleichermaßen von Asien über die Welt ausbreiten. Ratten und Juden sind gleichermaßen Parasiten:
„Die Juden sind ein Volk ohne Bauern, ohne Arbeiter, ein Volk von Parasiten…“ (12‘43‘‘)…Ratten stellen das heimtückische, unterirdische Element der Zerstörung dar – nichts anderes, als die Juden unter den Menschen. (18’18).“

Auch Oriana Fallaci stilisierte sich als mutige Tabubrecherin, als sie schrieb (die Kraft der Vernunft, S. 57):

„…Tatsache, dass der Koran in einer Frau vor allem einen Bauch zum Gebären sieht.

Man riskiert den bürgerlichen Tod, wenn man dieses Thema anschneidet. Im unterjochten Europa ist das Thema der islamischen Fruchtbarkeit ein Tabu, an das niemand zu rühren wagt. Wenn du es versuchst, landest du geradewegs wegen Rassismus-Fremdenfeindlichkeit- Blasphemie vor Gericht. Nicht zufällig gehörte zu den Anklagepunkten des Prozesses, der mir in Paris gemacht wurde, ein brutaler Satz – das gebe ich zu – , mit dem ich mich ins Französische übersetzt hatte. ,Ils se multiplient comme les rats.'– „Sie vermehren sich wie die Ratten.“


Bildnachweis: „Ils se multiplient comme les rats.“ – „Sie vermehren sich wie die Ratten.“ Quelle: Oriana Fallacis Buch |  Screenshot „der ewige Jude“ (18‘15‘‘)

 

 

2011 perfektionierte  Familie Gaddafi dann die Anwendung des "Ratten"-Begriff auf Menschen: Wie der Vater, "Gaddafi will "Ratten" und "Kolonisatoren" vertreiben", so der Sohn und damals designierte Nachfolger, Saif al-Islam:


"“Geht zur Hölle Ihr Ratten und Nato“,


zitierte der arabische Nachrichtensender Al-Arabija am Sonntag den Gaddafi-Sohn. Auch dessen Vater hatte die früheren Oppositionstruppen und heutigen neuen Machthaber in Libyen regelmäßig als Ratten verunglimpft.


Und hier ist der damalige Prinzling nochmal:

"Wir werden die Ratten angreifen."


Der Fanblock mochte da natürlich nicht abseits stehen und ließ die NATO-Ratten auch im deutschen Sprachraum viral gehen. Beispiele: hier, hier, und hier gleich in 12 Einträgen. Die Aufzählung wäre unvollständig ohne den einstigen Bundestags-Direktkandidaten der PDS, Chris Sedlmair: hier  und hier.


Die Herrschaften trommeln heute alle für Putin und Neurussland und ich halte das für keinen Zufall. Da fällt russische Propaganda bereits auf einen vorbereiteten Boden: so hetzt z.B. der Chef der rechtsextremen Zeitschrift Sawtra, Alexander Prochanow.

Und "demographische Bomben" oder das Parasitenmotiv bzw. das Einschleppen von Krankheiten buchstabieren Leute wie Prochanow und vor ihm Sarrazin an und ausbuchstabiert wird es von besorgten Bürgern und Politikern. Dann natürlich nicht so grob, sondern in etwa so:


"Starker Anstieg von Hartz-4-Kosten" - erst am Ende des Artikels erfährt man dann nicht nur wie das kommt (Flüchtlinge die eine Bleibeperspektive haben, melden sich arbeitssuchend), sondern auch daß viele neue Jobs entstünden. Gut ausgebildete, hoch motivierte Flüchtlinge, die sofort in einem gesuchten Beruf untergebracht werden können, kommen im Denken von Ministerin Nahles anscheinend nicht vor.


Eva Herman mal wieder.

"Sie (die Flüchtlinge, Anm. der Redaktion) entwickeln sich zunehmend zur Waffe gegen die einheimische Bevölkerung, indem man den Fremden unter anderem überraschende Rechte einräumt, die für bedürftige Menschen hierzulande jahrzehntelang nicht existierten: Sie erhalten Geld, Wohnraum, Zuwendung, mediale und politische Anerkennung."


Die demographische Bombe hat sie natürlich auch dabei:


„Weiterer Nachschub ist auf dem Weg, in Afrika explodiert die Bevölkerung, auch in Arabien, während sie in Europa, ganz speziell in Deutschland, seit Jahrzehnten dramatisch schrumpft: Keine Überlebensmöglichkeit!“


Dann hätten wir noch was zu den angeblichen unmittelbaren Kosten: 

"Flüchtlinge kosten Deutschland in diesem Jahr rund zehn Milliarden Euro"


und noch einer:

"Ökonom schätzt jährliche Kosten für Flüchtlinge auf 45 Milliarden Euro"


Hört sich zunächst mal sehr besorgt und realistisch an, aber ist doch nur das alte Parasitenbild.

wird fortgesetzt.