27. November 1095: "Deus lo vult" - Papst Urban II. ruft den 1. Kreuzzug aus

Papst Urban II ruft am 27. November 1095, anlässlich einer Synode in der französischen Stadt Clermont den 1. Kreuzzug aus: „Deus lo vult – Gott will es.“ 400 Jahre muslimische Herrschaft über Jerusalem sollen beendet werden. Für dieses fromme Werk wird das Blut von Muslimen und Juden großzügig vergossen.

Dieser angeblich zur Befreiung des Heiligen Landes ausgerufene Kriegszug ist der erste von insgesamt sieben Kriegszügen. Er soll soll Jerusalem und das Heilige Grab aus den Händen der türkischen Seldschuken befreien. Wesentlich war allerdings das Bestreben Urbans, die von seinem Vorgänger, Gregor VII. angestoßene Kirchenreform mit dem Kampf gegen „Simonie“ (Ämterkauf), Konkubinat/Priesterehe fortzufahren, zumal mit Clemens III weiterhin ein Gegenpapst im Amt war und die Kirche gespalten.

Urban kam damit einer Bitte des byzantinischen Kaisers Alexios I. Kommenos, trotz gescheiterter Verhandlungen über die Überwindung des Schismas zwischen Ost- und Westkirche nach. Für die Kriegsherren und ihr Fußvolk lobte Urban die Vergebung aller Sünden aus.

Bildnachweis: www.heiligenlexikon.de

 

Es ging um etwas ganz Anderes

Die Stellung von Urban II. war aus mehreren Gründen nicht gefestigt. die von seinem Vorgänger, Papst Gregor VII angestoßenen Reformen waren noch nicht weithin akzeptiert, genausowenig wie dessen unmißverständliche Positionierung im Investiturstreit ("Wer hat das Recht, die Bischöfe einzusetzen?") - trotz des Canossa-Gangs von Heinrich IV zwanzig Jahre zuvor. Heinrich stand übrigens hinter Gegenpapst Clemens III. Urban selbst nannte als seine theologische Basis den Vers 2.21 des Buches Daniel:


Er ändert Zeit und Stunde; er setzt Könige ab und setzt Könige ein; er gibt den Weisen ihre Weisheit und den Verständigen ihren Verstand.


Mit "Er" ist Gott gemeint.


Die folgenden, z.T. von Gregor VII eingeleiteteten Reformen wurden nochmals bekräftigt: gegen Laieninvestitur (ein Laie, d.h., jemand, der nicht als Priester geweiht war, konnte bis dato als Bischof in den Klerus ein-, und von dieser Position weiter aufsteigen), gegen die Verheiratung von Priestern (der Zölibat war seit 1078 verbindlich). Erst am Schluß der Tagesordnung, am 27.11. kam Urban zum Punkt: die orientalischen Christen würden grausam verfolgt, stünden vor der Vernichtung und bedürften der Hilfe aus dem Westen.

In Europa selber war die Furcht vor heidnischen/muslimischen Invasoren lebendig. Wikinger, Ungarn, Awaren und Araber waren eine stete Bedrohung. Zwar waren die Araber 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers zunächst zum Stehen gebracht worden, doch, nachdem Normannen und Ungarn das Christentum angenommen hatten, stellten die den einzigen Feind da, gegen den man noch heilige Heidenkriege führen konnte. Sie waren Feinde der Christenheit, der Krieg gegen sie ein heiliger, gerechter Krieg. Gegen sie war alles erlaubt, so z.B. auch die Stimmungsmache mittels pornographischer Verzierungen an den Mauern der Kirchen - gehäuft zu finden in Spanien, an der Grenze zun Gebiet der Muslime. Urban II unterstützte die bereits angelaufene Reconquista und so war es ein Leichtes, Reconquista und den Kampf im Heiligen Land miteinander zu verbinden. 60.000 folgten dem Aufruf und machten sich ins Heilige Land auf.

Bildnachweis: Claudio Lange, der nackte Feind.


Die ersten Pogrome (1096)

Jahrhunderte lang hatten die Juden in Europa in einem labilen Gleichgewicht von Schutz und relativer Sicherheit einerseits und Willkür und Gewalterfahrung andererseits gelebt. Es gab glanzvolle jüdische Gemeinden wie die SCHUM-Gemeinden - Akronym aus den Anfangsbuchstaben der Gemeinden von Speyer, Worms und Mainz -  die Zentren theologischer Gelehrsamkeit und jüdischer Kultur wurden. Worms und Mainz hatten Talmudschulen. Hier lehrten  Rabbi Gerschom ben Judah (60-1040) und Rabbi Schlomo ben Jitzchak, "Raschi"(1040-1105). Der Raschi war aus Frankreich gekommen, um in Worms zu lehren.

Daß grundsätzlich auch die Juden als Feinde der Christenheit betrachtet wurden, entfaltete schon in den Aufrufen für die Kreuzzüge seine Wirkung: Gottfried von Bouillon, vom Papst zum Anführer dieses Kreuzzuges ernannt, rief dazu auf, zuerst im eigenen Land "das Blut Christi zu rächen" und dieser Aufruf zeigte zuerst in Frankreich Wirkung:
Der französische Mönch Guibert von Nogent berichtet: "In Rouen sprachen eines Tages die Kreuzfahrer untereinander: 'Wir wollen in den fernen Osten gegen die Feinde Gottes ziehen und müssen dafür einen langen Weg durch viele Länder hinter uns bringen. Doch hier, vor unseren Augen, leben die Juden, das allergottesfeindlichtste Volk - unsere Arbeit wäre verfehlt'. Sprachen´s, nahmen ihre Waffen und drängten die Juden mit Gewalt in eine Kirche. Sie richteten das Schwert gegen alle, ungedacht des Alters oder des Geschlechts, und nur wer sich taufen ließ, kam lebend davon." Quelle.

Die Juden von u. a. Rouen, Reims, Verdun, Neuss und Xanten wurden ausgeplündert und ermordet.Somit konnten Frömmigkeit und Geldgier gleichermaßen befriedigt werden. Parallel zum "offiziellen" Kreuzzug zog ein 15.000 Köpfe zählender, von "Peter dem Einsiedler" geführter "Volkskreuzzug" los, der bei den Pogromen eine mehr als unrühmliche Rolle spielen sollte.

Nachdem die Kreuzritter in Frankreich bereits gewütet hatten, schicken die französischen Juden warnende Briefe an die Gemeinden im Rheinland, was die Gemeinde von Mainz damit beantwortete, ihre Besorgnis zum Ausdruck zu bringen. Ausserdem sei ein Fasten angesetzt.


Viele französische Juden, sowie die Juden von Köln und - teilweise - Mainz kauften sich durch die Zahlung von erpresstem Schutzgeld frei, doch in Mainz war das im Großen und Ganzen nicht erfolgreich. Die Kreuzfahrer unter Führung Emichos von Leiningen brachten sie trotzdem um. Über Emicho von Leiningen, dessen dringendes Bedürfnis es war, Juden entweder zwangszutaufen oder zu töten, berichten jüdische Quellen, er sei der größte Feind der Juden gewesen.

Die Kreuzfahrer zogen von einer Stadt zur anderen. Starben in Speyer "nur" 11 Juden, so starben in Worms und Mainz insgesamt 1000. Von ihren christlichen Nachbarn erhielten sie Hilfe, wenn überhaupt, nur gegen Geld, oft nahm man auch ihr Geld und überließ sie dann ihrem Schicksal. Auch in weiteren Städten war der Durchzug der Kreuzritter mit Pogromen verbunden.

Viele der bedrängten Juden begingen lieber Selbstmord, als sich taufen zu lassen und auch einige der Zwangsgetauften zogen den Tod einem von ihnen so empfundenen schmachvollen Leben als zwangsgetaufter Christ vor.

1097 erlaubt der Kaiser die Rückkehr der Zwangsgetauften zum jüdischen Glauben, 1103 stellt der Erste Mainzer Landfriede ihre besondere Schutzwürdigkeit fest.

 

Die unterschiedlichen Narrative

Übereinstimmend sind Abend- und Morgenland in ihrer Beschreibung, daß es sich um einen Kampf Christentum gegen Islam, Abend- gegen Morgenland handelte, natürlich mit den jeweils Eigenen als die Guten. Doch so klar waren die Fronten nie: es kämpften während dieser 200 Jahre die unterschiedlichstn Gruppierungen gegeneinander: Christen gegen Christen, Muslime gegen Muslime, die einen Christen mit ihren muslimischen Bündnispartnern gegen die anderen Christen mit deren muslimischen Bündnispartnern. Also: die Christen als die Guten, die Muslime als die Bösen. Auch Saladin bediente sich zur Erreichung seine sonstigen politischen Ziele gelegentlich christlicher Bündnispartner. Dafür hier zwei Beispiele:


Die Eroberung von Edessa und die Kannibalen von Maarat an-Numan

Wie die Grafschaft Edessa entstand

Diese Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie Christen andere Christen bekämpften und verrieten.


Der Herr über die armenische Stadt Edessa, ein, laut Amin Maalouf, armenischer, Fürst namens Thoros rief den Grafen Balduin von Boulogne gegen die heranrückenden Seldschuken zur Hilfe, der auch zur Hilfe kam, aber zur Bedingung stellte, von Thoros adoptiert zu werden. Thoros ging darauf ein, es habe eine Adoptionszeremonie nach armenischer Sitte stattgefunden, bei der Graf Balduin unter die weiten Gewänder seiner "Eltern" geschlüpft sei, die unter diesen Gewändern nackt gewesen seinen. Damit hätten sie sich nicht nur in den Augen der heranrückenden Seldschuken, sondern auch in den Augen der Untertanen lächerlich gemacht. Einige Tage später wurden die "Eltern" - auf Veranlassung des neuen Herrschers - gelyncht. Im Gegensatz zu dem, was in Wikipedia steht, ist dieser Mord für Maalouf nicht "unklar". Balduin wird zwei Jahre später König von Jerusalem.


Das Massaker von Maarat an-Numan

1098 belagerten Kreuzritter die kleine Stadt im Nordwesten Syriens. In dieser Stadt lebten die Bewohner, die von Aleppo aus regiert wurden von der Landwirtschaft. Ihr berühmtester Einwohner war der Philosoph und Dichter Abū l-ʿAlāʾ al-Maʿarrī, 973 bis 1057, vom libanesisch-christlichen Autor und Verfasser eines Standardwerks, Amin Maalouf als "Freidenker" bezeichnet und mit folgemdem, seinem berühmtesten Vers zitiert:


Die Bewohner der Erde sind in zwei Arten geteilt,

Die einen haben ein Ein Hirn, aber keine Religion,

Die anderen haben eine Religion, aber kein Hirn.


Militärisch stand der Zug der Kreuzritter im Zusammenhang mit der Belagerung und Eroberung Antiochias durch den terroristischen normannischen Warlord Bohemund von Tarent, der auch im Weiteren noch durch Grausamkeit und Hinterlist in Verfolgung einer höchst eigenen Agenda von sich reden machte.


Als den Einwohnern klar wurde, daß die "fränkische" Belagerung Erfolg haben würde, wandte man sich an Bohemund, um die Voraussetzungen für eine Übergabe auszuhandeln. Ihnen wurde versprochen, wenn sie sich denn in einem bestimmten Gebäude sammelten, würden sie verschont. Bohemund hielt sein Wort nicht.

Als die schon halb verhungerten und frierenden Kreuzritter die Stadt stürmten, ereignete sich, was im Westen kaum bekannt ist, sich jedoch tief in dqs kollektive Gedächtnis des Orients eingegraben hat: nicht nur wurden die Einwohner massakriert, sondern schlicht gefressen - die Köpfe der Erwachsenen gekocht, die Kleinkinder auf Spieße gesteckt und gegrillt.

Daß es sich bei den Berichten über diese Gräueltaten nicht über bloße Propaganda der Muslime handelt, bezeugen die zahlreichen, auch von Amin Maalof zitierten christlichen Quellen.

Bildnachweis: „Map Crusader states 1135-de“ von MapMaster - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Map_Crusader_states_1135-de.svg#/media/File:Map_Crusader_states_1135-de.svg


Die Eroberung von Jerusalem

Nach fünfwöchiger Belagerung und anschließenem drei Tage andauerndem Kampf nahmen die Truppen der Kreuzritter unter Führung Gottfried von Bouillons 1099 Jerusalem ein, das bis dato von den schiitischen Fatimiden beherrscht wurde. Zwei Belagerungstürme, von denen einer noch in Brand geschossen wurde, gaben den Ausschlag. Zuvor waren die Belagerer noch barfüssig und betend um die Stadt gezogen und dann mit dem Ruf Deus adiuva, Gott hilf, vorangestürmt.

Sie fingen sogleich mit dem Massakrieren von Juden und Muslimen an. Wenngleich viele Quellen den Verlauf erheblich übertreiben, so scheint doch sicher, daß die Grausamkeiten der Kreuzritter das auch damals im Krieg übliche Maß deutlich überschritten. Von den Juden Jerusalems starb die Mehrzahl - viele dadurch, daß die Kreuzfahrer sie in den Synagogen einsperrten und verbrannten, die sie, einem alten Brauch folgend, aufgesucht hatten. Für die Überlebenden zahlten die Juden von Aschkelon ein üppiges Lösegeld. Sie zahlten auch für Rettung wertvoller jüdischer Schriften, die die Eroberer sonst verbrannt hätten. Ihren Sieg feierten die Kreuzfahrer in der Grabeskirche, in der sie ein Banner der Muslime aufpflanzten. Für mehr als 90 Jahre ist die Stadt Jerusalem wieder unter der Herrschaft der Christen, bis der Kurde Saladin sie am 2. Oktober 1187 wieder zurückerobert. Dieser Sieg macht ihn im ganzen Orient zur Legende.

Bildnachweis: www.heiligenlexikon.de

Die unterschiedliche Sichtweise ist noch heute in den aktuellen Konflikten sichtbar. "Kreuzritter" ist im Orient diejenige Bezeichnung, die alles erklärt. Den Westen hat das zu lange nicht interessiert.