Wie die "Operation Lisa" scheiterte - Teil 1

Autor: Nikolai Klimeniuk 19. 02 2016

 "Das Scheitern einer unlängst in Deutschland geführten russischen Propagandakampagne  zeigt uns, daß die Kreml-Strategen weder das Land, noch seine beträchtliche Russischsprachige Bevölkerung kennen."

Der erste Teil, den ich bislang übersetzt habe, beschäftigt sich mit dem Scheitern der "Operation Lisa", der zweite Teil mit der Russlanddeutschen/Deutschrussischen Community.

Im vergangenen Monat führte das Verschwinden eines 13 Jahre alten russischen Mädchens in Berlin zu einer Reihe von Skandalen. Als das Mädchen Lisa, einen Tag nach ihrem Verschwinden, am 11. Januar zu ihrer Familie zurückkehrte, behauptete diese, Lisa sei von Arabern entführt und vergewaltigt worden.

Diese Behauptung führte zu Demonstrationen Russisch sprechender Deutscher, steigerte das Interesse der russischen Medien an der Geschichte und führte zu einem Austausch harter Worte zwischen dem deutschen und russischen Aussenministeriums.

In der Tat: die aktive Beteiligung der Kremlmedien (und speziell des russischen Ersten Kanals/Programms) beim Aufrühren migrantenfeindlicher Gefühle führte zum dem Vorfall, der später "Operation Lisa" getauft wurde.

 

Einige glauben, daß die "Operation Lisa" ein Sieg für die russische Propaganda sei - ein erfolgreicher Angriff auf Deutschland als Teil des russischen "hybriden Krieges". Zum Schluss protestierten etwa 10.000 bis 20.000 Russisch sprechende Einwohner in einem Dutzend Städten in Deutschland und verlangten sogar den Rücktritt von Angela Merkel. So etwas gab es vorher noch nie. 

"Wenn man weiter an den

Erfolg dieser Aktion glaubt, verstärkt

das die Wirkung der,Operation Lisa'

umso mehr."

Doch, wenn man weiter an den Erfolg dieser Aktion glaubt, verstärkt das die Wirkung der "Operation Lisa" umso mehr: die Geschichte war zwar gelogen, doch sie demoralisierte den Feind und fügte ihm handfesten Schaden zu.

Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung ist nicht größer als der der Anfangsgeschichte des russischen Fernsehens über die Enfführung eines "russisch-deutschen" Mädchens in Berlin.

Gleich zu Anfang wies die Polizei zurück, daß Lisa entführt und vergewaltigt worden sei. Später stellte sich heraus, daß Lisa wegen Problemen in der Schule Angst hatte, nach Hause zu kommen. Sie blieb in der Wohnung eines Freundes.

 

Grundsätzlich ist russische Propagand einer der Faktoren, die die Wahlentscheidung der russischsprachigen deutschen Bürger*innen beeinflussen  kann.

Doch noch immer gibt es mehr Gründe, die "Operation Lisa" eher für einen Mißerfolg als für einen Erfolg zu halten.

 

Eine eigene Agenda

Die Silvester-Ereignisse fanden ihren Widerhall überall in Deutschland. Die deutsche Polizei wurde von der Situation überrumpelt und hatte die Lage nicht mehr unter Kontrolle. Die öffentliche Haltung gegenüber Asylbwerbern und der deutschen Einwanderungspolitik hat sich seitdem verhärtet und die Zukunft von Merkels Kanzlerschaft wird kontrovers diskutiert.

Der "Lisa"-Zwischenfall, andererseits, rief keine Auseinandersetzung hervor und warf keine Fragen über die Kompetenz von Polizei oder Regierung auf, sondern bewirkte, daß sich der Focus auf die Taktik der russischen Propagandamaschine richtete, und so die Ursache unzähliger Berichte zum Thema wurde, sogar in kleinen Lokalzeitungen. Plötzlich fühlten sich kleine Städte im Westen Deutschlands wie Schlachtfelder im "hybriden Krieg".

Die Einbindung des russischen Aussenministers Sergej Lawrow in die "Operation" wandelten diese in ein Ereignis von nationaler Wichtigkeit. Es wurde bald klar, daß dies nicht nur eine Initiative lokaler Berliner Rechtsextremisten und des russischen Staatsfernsehens ist.

Lawrows statement vom 26. Januar und besonders die Worte von "unserer Lisa" erzürnten den deutschen Aussenminister Frank-Walter Steinmeiner (der Russland normalerweise sehr gewogen ist), so sehr, daß er in ungewöhnlich scharfen Worten antwortete.

26. Januar 2016, Moskau: Sergej Lavrov blickt anlässlich einer Pressekonferenz auf das Jahr 2015 zurück. (c) Ivan Sekretarev / AP / Press Association Images. Alle Rechte vorbehalten.

Bei der deutschen Presse kamen Lawrows Worte als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschland und als Versuch, Merkel zu schwächen, an. Eine deutsche Staatsbürgerin als "unsere Lisa" zu bezeichnen, hört sich wie eine Verletzung deutscher Souveränität an. Sowohl große als auch kleine Zeitungen fingen an, über den "russischen Hybridkrieg" zu schreiben.

 

Heute schreibt die deutsche Presse

eine Menge über

die "Notwendigkeit des Dialogs", doch

eine Menge mehr über

Aggression.

Genaugenommen, änderte sich, nach Lawrows Auftritt in dieser Geschichte, die Haltung der deutschen Medien gegenüber Russland. Heute schreibt die deutsche Presse eine Menge über die "Notwendigkeit des Dialogs", doch eine Menge mehr über Aggression und verlangt von der Regierung, gegenüber Russland hart und entschlossen aufzutreten.

Dem Besuch des Bayrischen Premierministers Horst Seehofer im Februar in Moskau wurde mit Verachtung und Missbilligung gegenübergetreten, als Wirtschaftsminister Gabriel im Oktober Russland besucht hatte, war er solcher einhelligen Kritik nicht ausgesetzt.

 

Russland greift an, Deutschland verteidigt sich

 

In Deutschland wurde der Begriff "Hybridkrieg" erst spät zum feststehenden Begriff: jetzt wird er sogar im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen gebraucht, das - bis noch vor Kurzem - gegenüber der Putin-Administration - eine weichere Haltung eingenommen hatte als die Printmedien.

Schon vor der "Operation Lisa" wurde die Berichterstattung kritischer gegenüber Russland: im Dezember erschien im deutschen Fernsehen eine sehr negative Dokumentation über Putin, Talkshows buchen jetzt auch Kreml-Kritiker, und im Fernsehen soll eine Serie über die imaginäre Besetzung von Norwegen durch Russland gezeigt werden. (Mittlerweile wurde die Serie in Deutschland auf arte gezeigt. Die DVD/Blu-ray sind mittlerweile bei amazon erhältlich. DS).

 

"Als Nachspiel zur 'Operation Lisa' fingen

die Menschen in Deutschland an,

zu erkennen, daß es wichtig ist, die freie Rede

gegenüber dem russischen "Ersten Kanal (Fernsehprogramm)" zu verteidigen

und nicht die Freiheit des Ersten Kanals,

alles zu behaupten, was er möchte."

Die 'Operation Lisa" beeinflusst gleichermaßen die öffentliche Wahrnehmung der Ereignisse der Silvesternacht in Köln. Es erschienen Artikel, die behaupteten, daß die sexuellen Attacken in Köln, sowie ähnliche Vorkommnisse in anderen Städten eine geplante Provokation waren, möglicherweise ausgeführt von putinfreundlichen syrischen Geheimdiensten.

Nach den koordinierten "Protesten" von Russisch-Muttersprachlern an vielen Orten in Deutschland und dem dreisten Versuch der russischen Regierung, das Migrationsthema auszuschlachten, scheint diese Vermutung nicht länger weit hergeholt. Doch während die "Operation Lisa" die Auswirkungen der Kölner Ereignisse verstärken sollten, hat sie in Wirklichkeit von ihnen abgelenkt.

 

Köln, Januar 2016. (c) Martin Meissner / AP / Press Association Images. Alle Rechte vorbehalten.

Als Nachspiel zur 'Operation Lisa' fingendie Menschen in Deutschland an, zu erkennen, daß es wichtig ist, die freie Rede gegenüber dem russischen "Ersten Kanal (Fernsehprogramm)" zu verteidigen und nicht die Freiheit des Ersten Kanals, alles zu behaupten, was er möchte. Deutsche und Russen entgeht dieser feine Unterschied häufig.

Es gibt auch rechtliche Konsequenzen: auf eine Anzeige des Rechtsanwalts Martin Luithle ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Iwan Blagoi, jenen Korrespondenten des Ersten Kanals, wegen Volksverhetzung. Blagoi hatte über die Lisa-Story berichtet. Daß Luithles Website gehackt wurde und er Morddrohungen erhielt, hat die öffentliche Unterstützung für seine Initiative nur verstärkt. (Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt. DS)

Ganz allgemein wurde nun klar, daß, je unverfrorener die russische Aggression wurde, desto größer wurde Deutschlands Entschlossenheit, sich zu verteidigen.

Doch natürlich war der größte Fehler des Kreml der Einfall, Deutschland mit der Hilfe von dessen mehrere Millionen starker "Russischer" Diaspora zu destabilisieren. Offensichtlich glaubte der Kreml - genau wie das Staatsfernsehen, das Aussenministerium und die Präsidialverwaltung - daß Deutschlans russischsprachige Bevölkerung sich in Deutschland als Aussenseiter fühlt - unzufrieden mit ihrer Situation, Opfer von Diskriminierung und anfällig für die Idee der "Russischen Welt". Das ist ganz klar unkorrekt. obwohl Menschen aus der ehemaligen UdSSR die größte Diaspora im heutigen Deutschland bilden, ist diese Diaspora eine, die sowohl Einfluss auf das öffentliche Leben als auch auf die Wahlergebnisse ausübt.

 

Fortsetzung folgt.