Radovan Karadžić verurteilt - ist das ein Anfang?

Heute hat das internationale Kriegsverbrechertribunal in den Haag Radovan Karadžić zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Da er heute bereits siebzig Jahre alt ist, bedeutet das, daß er selbst mit 2/3 Rabatt weit über neunzig Jahre alt wäre, wenn er das Gefängnis wieder verlassen würde. Kann die Verurteilung dieser serbischen Extremistenikone einen Neuanfang einleiten, und was könnte das denn überhaupt für ein Neuanfang sein?

 

Zur Erinnerung

1995 hatten sich Tausende Bosnier in die von den Vereinten Nationen als Safe Haven ausgewiesene Stadt Srebrenica geflüchtet. Bosnisch-Serbische Streitkräfte hatten das niederländische Bataillon überrollt, das dann hilflos zusehen musste, wie die Serben 7- bis 8.000 Männer und Jungen umbrachten und - wie „Human Rights Watch“ meinte - noch die über die Berge Flüchtenden unter Einsatz des Psychokampfstoffes BZ verfolgten. Die Bilder des offensichtlich den Serben zuprostenden Kommandeurs gingen genauso um die Welt wie die des Massakers. Die endgültige Aufklärung der Vorgänge fegte 2002 die amtierende Regierung der Niederlande aus dem Amt. Die niederländischen Soldaten hat man 2006 rehabilitiert. Die Opfer warten größtenteils bis heute und sind fast vergessen. Rechtsextremisten und Querfrontaktivisten üben sich bereits in Geschichtsrevisionismus, Details kommen in die öffentlichkeit, wie die russischen Rechtsextremisten (über Igor Girkin findet man im Internet reichlich Quellen) die damaligen Aktionen der Serben unterstützt haben, Sebische Tschetniks "bedankten" sich bei den russischen Brüdern durch die Unterstützung bei der Krim-Annexion. Und es wird jetzt - zunehmend aggressiver - versucht, den damaligen Völkermord zu leugnen. Als ich, anlässlich eines Projekts des Zentrums für Politische Schönheit, im Juni 2010 das erste Mal an den Völkermord in Bosnien erinnert habe, stand in einem eintreffenden Leserbrief, man möge mir doch bitte den Unfug mit den vielen Toten ausreden. Ich befürchte, daß an der Geschichtsklitterung weiter gearbeitet wird. Deswegen hier noch mal die Fakten:

 

De Doofpot

2002 bereitete ich mich mit Hilfe eines niederländischen Zeitungsportals auf eine Prüfung am Bundessprachenamt vor. Es knallte in den Niederlanden wegen Srebrenica und letztendlich hat es die Regierung vom Stuhl gefegt. Alle Zeitungen waren voll vom Thema Srebrenica, und der Ausdruck, der da am häufigsten vorkam war: "de doofpot". Etwas da hineinzupacken, -zustecken, -zustopfen, wird auf Deutsch am besten wiedergegeben mit: „unter den Teppich kehren“. Und das, was unter den Teppich gekehrt worden war, war wahrlich heftig: Anfang der 90er hatte sich der damalige Bundeskanzler Kohl in dem Sinne geäussert, daß niemals ein deutscher Soldat auf dem Balkan stationiert werde - um der Geschichte willen. Was letztendlich daraus geworden ist, ist eine andere Geschichte. In den Niederlanden brach eine heftige Pressekampagne los: Wenn die Deutschen das nicht hinkriegten/hinkriegen wollten, seien die Niederlande in der Pflicht. Letztendlich ging der Auftrag an die Niederlande - trotz erheblicher Bedenken auch von Verantwortlichen - mit dem bekanntem Ergebnis. Die Soldaten standen als Feiglinge da und deren Kommandeur als Vollidiot. Im Internet konnte man noch 2010 eine Dokumentation über die Abschlussübung besichtigen, die unter anderem zeigte, daß die Niederlande den Auftrag übernahmen, ohne sich zu fragen, warum andere Nationen ihn nicht haben wollten und Kanada ihn zurückgegeben hatte, aber auch erste Zweifel an Oberstleutnant Karremans weckte.

Der Report (Klick auf das Bild öffnet die englische Version) des renommierten NIOD (Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie= Niederländisches Institut für Kriegsdokumentation) brachte Peinliches zutage: Die Politik hatte sich von den Medien vor sich hertreiben lassen und schon zu Anfang durch nachlässiges Verhandeln mit den Vereinten Nationen keine schweren Waffen mitgebracht und keine Luftunterstützung abgesprochen – all dies ist nämlich von Einsatz zu Einsatz unterschiedlich.

Die Niederländer waren von den Serben gezwungen worden, bei der Selektion der Opfer - anders kann man das nicht bezeichnen - zu helfen. Bis 2006 hat niemand die Soldaten vom Vorwurf der Feigheit entlastet, und die Sozialstatistik war desaströs: überdurchschnittlich viele schafften nach Ende ihrer Dienstzeit den Übergang ins Zivilleben nicht, überdurchschnittlich viele waren traumatisiert und benötigten überdurchschnittlich lange Therapien - und die militärische Führung hatte nach der Rückkehr 1995 bis zum großen Knall 2002 nicht mit den Soldaten gesprochen.

Download
Die zusammengefassten Ergenbnisse des NIOD-Reports
Im Hintergrund das berüchtigte Bild, auf dem zu sehen ist, wie der damalige Oberstleutnant Karremans - zu jener Zeit Kommandeur des "Dutchbat III" mit seinem Stellvertreter den Serben zuprostet.
Srebrenica - Zusammenfassung.pptx
Microsoft Power Point Präsentation 56.5 KB

Mladic bestellte Karremans zur "Vernehmung" in ein Hotel, versuchte ihm, der von den UN schlicht hängengelassen wurde, die Verantwortung für vorweggegangene militärische Auseinandersetzungen, auch für das spätere Massaker zuzuweisen. Wer sich die gesamte "Vernehmung" antun will:hier und hier. Besonders beim zweiten Meeting sieht man, wie Karremans gegen die militärische Übermacht noch versucht, die Flüchtlinge zu schützen.

Bildnachweis: Ratko Mladić in Den Haag. Das Urteil wird für 2017 erwartet. (c) AP.

Aufgerufen als Entlastungszeuge für Karadžić  verweigerte er die Aussage.

 

Bittere Auszeichnung für die Soldaten

Im Dezember 2006 traten die Soldaten zum letzten Mal an und bekamen einen speziell für diesen Anlass gestifteten Orden, „ein Stück Anerkennung“, was - nicht nur - bei den Angehörigen der Opfer Verbitterung auslöste. Die Trouw schrieb in einem Artikel seinerzeit dazu:

 

 

 

Verwandte und Überlebende des Massenmordes von Srebrenica sind geschockt und verbittert über den Beschluss des niederländischen Verteidigungs-ministeriums, die Soldaten des Dutchbat III auszuzeichnen.

 

'Irrsinnig und unverständlich. Bedeuten 8.000 Opfer denn garnichts?' fragt Muska Begovic-Omerovic. Ihr Großvater, Vater und Bruder waren im Juli 1995 durch Soldaten des Bosnisch-Serbischen Heeres ermordet worden. Das niederländische UN-Bataillon hatte die Morde nicht verhindern können. Begovic: 'Und dann gehen sie gleich mit einer Medaille nachhause und dem Gefühl, wir haben alles richtig gemacht. Das ähnelt dem kommunistischen Regime sehr, das wir vorher hatten.'

 

Wie der Interkirchliche Friedensrat sagt, steht diese Auszeichnung in schrillem, peinlichem und verstörendem Kontrast zu der Art und Weise, mit der in den Niederlanden sonst mit den Opfern und ihren Verwandten umgegangen wird. Es bestätige, daß die Niederlande im Moment mit sich selber beschäftigt seien, sagte ihr Sprecher Dion van den Berg.

 

Verteidigungsminister Kamp hat entschieden, ihnen ein spezielles Abzeichen "Dutchbat III" zuzuerkennen, 'in Anerkennung der Verdienste der 850 Soldaten, die sich in mühevollen Umständen nach Ehre und Gewissen betragen und lange Zeit zu Unrecht in negativem Licht gestanden haben.'

 

Die Veteranen sind glücklich. Nach Jahren der Entehrung folgt nun die öffenliche Anerkennung, daß "wir taten, was uns erlaubt wurde und was in unserer Macht stand. Die Rolle des Bataillons wurde 2002 bereits vom NIOD differenziert dargestellt, doch die Auszeichnung wiegt schwerer.

 

Hasan Nuhanovic, damals Übersetzer des „Dutchbat“, reagiert gelassen auf den Bericht: 'Ich habe keinen niederländischen Soldaten gesehen, der etwas getan hat, für das er eine Medaille verdient hätte. Es gibt jedoch einige Offiziere, die strafrechtlich verfolgt werden müssten. Nuhanovic versucht, vom niederländischen Staat Schadensersatz für den Tod seiner Eltern und seines Bruders zu bekommen, die im Juli 1995 die niederländische Basis Potocari hatten verlassen müssen.

Minister Kamp wird die Auszeichnungen am 4. Dezember in Assen verleihen. Das MInisterium bezahlt den Soldaten und Veteranen die Reisekosten. Auch dann wenn sie aus dem Ausland anreisen müssen.“

 

Lügen, Kleinreden, Verschweigen

Kyrillisch-serbisches Ortsschild mit dem Datum des serbischen „Sieges“, Quelle: youtube, screenshot

 

Der hier erwähnte Dolmetscher Nuhanovic, der die obige Ordensverleihung als "Medaille für Verrat" bezeichnete, strengte einen Zivilprozess gegen die Niederlande an, da seine Schutz suchenden Familienangehörigen von den Niederländern in den sicheren Tod geschickt worden seien. Diesen Prozess verlor er 2008 zunächst - um ihn nach dem Gang durch mehrere Instanzen 2013 zu gewinnen. Zitat:

Der niederländische Staat ist nach einem Urteil des Höchsten Gerichtes haftbar für den Tod von drei bosnischen Männern beim Völkermord von Srebrenica 1995. Der Hohe Rat in Den Haag bestätigte damit das Urteil einer früheren Instanz. Die Niederlande hatten dagegen Berufung eingelegt mit der Begründung, dass für den Einsatz in Bosnien nur die Vereinten Nationen verantwortlich waren. Das wies das Gericht zurück"

Womit ich zu den Angehörigen überleite: bei jenem Prozess in Den Haag lautete das Urteil, mit dem die Klage der Angehörigen abgeschmettert wurde, zwar: "Die Handlungen und Unterlassungen von Dutchbat müssen strikt nur den Vereinten Nationen zugeschrieben werden“, und weiter, wie WELT online 2008 berichtete: „In ihrer mehr als halbstündigen Urteilsbegründung verloren die Richter keinen Satz über die Opfer.“ Die Opfer… Laut den Untersuchungen von NIOD und anderen verläßlichen Quellen betrug die Opferzahl zwischen 7.000 und 8.000, absolut unbestreitbare Untergrenze ist  – durch DNA-Untersuchungen – belegt, die Zahl von 6,186. (Stand 2010).

Heute gilt die Zahl von 8376, also mehr als 8.000 als gesichert, was auch vom serbischen Parlament in seiner Resolution von 2010 anerkannt wurde. Das Parlament habe jedoch nicht von Völkermord gesprochen.

 

Heute

scheint es so zu sein, daß nationalistische Kreise in Serbien wieder hinter diesen Stand zurückfallen, obwohl es mittlerweile auch Stimmen gibt, die sich weiter für eine Anerkennung der serbischen Schuld und aktive Versöhnung aussprechen. Dieser Revisionistenkreise haben gute Drähte nach Russland und in die rechtsextreme und Querfront-Szene Europas. Man kennt sich, man hilft sich. Igor Girkin hat nach eigenen Angaben in Bosnien gekämpft und darüber ein Tagebuch geschrieben, serbische Tschetniks  haben bei der Eroberung der Krim geholfen. Und die deutschen Putinversteher bemühen sich auch nach Kräften, dieses Massaker kleinzureden oder zu leugnen und schwadronieren von NATO-Kriegslügen.

Quelle: screenshot youtube Serbian War Veterans Operating in Crimea: Russian Roulette in Ukraine (Dispatch 5)

 Die Donkosaken des Nikolai Djakonow marschieren durch Banja Luka © www.klix.ba

Die Frage muß erlaubt sein, inwiefern der russische Einfluss in Serbien nicht nur der politischen und wirtschaftlichen Konsolidierung und der Annäherung an Europa, sondern auch der Anerkennung seiner Verbrechen in Bosnien und der Aussöhnung mit den Opfern hinderlich ist. Die Klärung dieser Frage könnte einen Anfang ermöglichen.