Ukraine? Ist uns egal ...

Wilmer Heck, nrc handelsblad 31.3.16

Worum es wirklich ging, haben die Initiator*innen des "Bürgerkomitees EU" am 31. März dem nrc.handelsblad in erfreulicher Deutlichkeit erzählt und damit den Mittelfinger ausgefahren. Sie haben ihr Ziel erreicht. Nicht "die Niederländer", sondern nur 20% von ihnen haben gegen das Abkommen gestimmt, das ihr Premier, Mark Rutte allerdings jetzt "respektieren" will.

Die Herrschaften haben mehr als zwei Jahre gewühlt und jetzt hat es sich ausgezahlt. Die Link(sliberal)en, die gedacht hatten, das Referendum habe eh keine Konsequenzen, werden sich noch wundern.

 

Bildnachweis: nrc.handelsblad.: Sie sind die Initiator*innen des Referendums über einen Vertrag der EU mir der Ukraine. Doch es geht dem "Bürgerkomitee EU" um etwas ganz anderes.

 

Vorbemerkung: das nrc-handelsblad richtet sich nach eigenem Selbstverständnis an die Elite der Niederländer und steht fest in der "Nein"-Front. DS

 

"Ein hübscher Sommerspaß", so Redakteur Bart Nijman von GeenStil zu den Urhebern des Plans, ein Referendum über das Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine zu organisieren. Der hübsche Sommerspaß, eine Initiative des Bürgerkomitees EU, schien ein unerfüllbarer Plan zu sein. Der Plan nahm jedoch Fahrt auf, als sich bei GeenStij einige IT-Spezialisten meldeten und vorschlugen, eine App zu bauen, mit der die Menschen sich digital an der Unterschriftensammlung zur Durchführung des Referendums beteiligen konnten. Ende September hatten das 450.000 Niederländer*innen getan. Und somit werden in der kommenden Woche (s. Datum des Artikels), am Mittwoch, Millionen an die Urnen gehen.

"Die Ukraine interessiert uns natürlich überhaupt nicht, das müssen Sie verstehen," sagt der Historiker Arjan van Dixhoorn, der Vorsitzende des Bürgerkomitees. Die Gründer des Bürgerkomitees haben nur  ein einziges Ziel: die EU zu zerstören, oder die Niederlande aus der EU zu treiben, somit einen Nexit. "Bis  jetzt ist ein Nexit noch nicht möglich. Darum nutzen wir alle Möglichkeiten, die Beziehungen zwischen den Niederlanden und der EU unter Spannung zu setzen," erklärt van Dixhoorn.

 

"Die Ukraine interessiert uns

natürlich

überhaupt nicht,

das müssen Sie verstehen"

 Ohne Geenstijl hätte es nicht geklappt

"Die wahren Initiatorinnen des Referendums  überlassen es zu einem wesentlichen Teil Andeeren, die Kampagne zu führen. "Geenstijl heftet sich das Referendum eventuell etwas mehr an, als es angemessen ist. Aber wir gönnen es ihnen, denn ohne sie hätte es niemals geklappt," sagt Pepijn van Houwelingen, der im Regierungsdienst arbeitet.

Dem Gespräch vorausgehend fordern Van Dixhoorn und Van Houwelingen ausdrücklich, daß ihre Arbeitgeber nicht genannt werden, denn sie setzten sich ausschließlich als besorgte Bürger für das Bürgerkomitee EU ein.

Ein einziges Mal geben die medienscheuen Komiteegründer ein Interview, auf dem Plein in Den Haag, gegenüber der Zweiten Kammer, dem Parlament, das sie so verabscheuen, weil es allein auf Europa und nicht auf den Bürger höre.

 

"Wie kam das Referendum zustande?"

"Van Houwelingen: "zunächst haben wir zwei Jahre auf das neue Referendumsgesetz gewartet, das im vergangen Jahr

in Kraft trat. Danach haben wir auf der Internetseite des Wahlvorstands nachgesehen, welche Gesetze und internationale Verträge referendumsfähig waren. Eins der Ersten war das Assoziierungsabkommen mit Chile.

Da wussten wir bereits, daß das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, das ja schon sehr kontrovers diskutiert wurde wahrscheinlich  auch referendumsfähig werden würde. Das Abkommen sollte erst am 30. Juni in der Ersten Kammer (~ Oberhaus, Bundesrat.DS) behandelt werden. Dann wäre es - und das habe ich jetzt nicht erfunden - nicht referendumsfähig gewesen, denn das Referendumsgesetz trat ja erst am 1. Juli in Kraft.

Danach haben wir - und ich weiß bis heute nicht genau, wie das funktionierte, sowohl an die SP (als linkspopulistisch angesehene Partei, auf die sich ja auch Dietmar Bartsch berufen hat. DS) als auch an die PVV (Geert-Wilders-Wahlverein) eine mail geschickt mit der Bitte, dafür zu sorgen, daß die parlamentarische Beratung eine Woche verschoben wird. Das geschah. Und da dachten wir, hey, das könnte ja was werden. Und dann gingen wir zu Geenstijl."

 

"Geenstijl ist nach eigenen Worten 'Undifferenziert und sinnlos verletzend'. Fandet Ihr das nicht hinderlich?"

Van Dixhoorn:"Nein, ganz und gar nicht. Ich finde, daß Geenstijl das beste Journalistische Medium der Niederlande ist. Viele Menschen sind die gefilterten Nachrichten der etablierten Medien leid. Die Wut ist groß in den Niederlanden über die EU, über das Herumspinnen der Regierung und die mulitkulturelle Gesellschaft, und sie ist viel, viel größer und weiter verbreitet, als die meisten Menschen denken. Auch in den intellektuellen Millieus.

Viele Menschen wagen es nicht mehr, ihren Mund aufzumachen, weil sie um ihre Reputation fürchten. Wir haben die Angst abgeschüttelt. Das ganze Geplärre, was denn geschmackvoll sei und was nicht, macht unsere Land todkrank, den  man kann seine Meinung nicht mehr wie gewohnt sagen.

 

"Ich finde, daß Geenstijl

das beste journalistische Medium

der Niederlande ist."

 

Was ist so schlimm an der EU?

Van Dixhoorn:

"Nagut, dann muß ich darüber doch mal was sagen. Bis 2005 war ich selber europhil. Und dann kam das Referendum über die Europäische Verfassung.

Es war das eine oder andere Dinosaurierkabinett aufgeboten, mit Giscard d'Estaing und anderen Dinosauriern aufgeboten worden, die für uns diese Verfassung erstellt haben. Der gesamte Prozess war von Anfang an ein Fehler. Und der größte Fehler waar, daß sie dann ein Referendum organisierten, die Niederlande stimmten mit großer Mehrheit dagegen, und dann kam es doch."

Van Houwelingen:

"Das war die ,Erbsünde'. Wenn damals alle mit ,ja' gestimmt hätten, hätten Sie wahrscheinlich nie von uns gehört."

 

 

"Die EU erinnert sehr stark

an die Sowjetunion".

 

Und was ist so schlimm an der Politik der EU?

"Eigentlich ist das nicht wichtig. ich war selbst nicht gegen die EU, ich war für sie und hielt sie für einen schönen Traum. Für mich ist sie inzwischen zu einer immer schlechteren Idee geworden, denn es hat die ,Erbsünde' gegeben, und ich habe über den gesamten Plan weiter nachgedacht. Die EU wird immer weniger verfassungsmäßig und greift sich immer mehr Macht. Die Idee von der Vereinheitlichung aller europäischen Völker umd dadurch Frieden, Freiheit und Wohlergehen zu schaffen - wir wissen jetzt, daß das eine Lüge ist. Ich glaube sehr wohl, daß dieser schöne Traum in Erfüllung gehen kann - mit viel Macht für die einzelnen Staaten und vielen Referenden. Zur Zeit erinnert die EU sehr stark an die Sowjetunion."

 

 

Stellen Sie sich vor, daß die heutige EU nicht mehr existiert. Was denken Sie, wie soll  man dann die grenzüberschreitenden Probleme wie Klimaveränderung und Terrorismus anpacken?

"Man kann sich mit anderen Ländern beraten, dafür brauchen wir keine zentralistische EU. Das ist die Aufgabe der einzelnen Staaten."

 

Alle diese einzelnen Staaten haben bis 1945 doch sehr oft gegeneinander Krieg geführt.

Van Dixhoorn:

"Wissen Sie denn auch, woher dieses ganze Blutvergießen kam? Durch den Imperialismus von Deutschland, von England oder Italien mit seinen Bestrebungen, während der Herrschaft des Faschismus das Römische Reich wieder herzustellen. Das ist genau das, was die EU gerade tut."

 

Anmerkung: nach dieser steilen These ist es Zeit, darauf hinzuweisen, daß Professor (!) van Dixhoorn ein angesehener Historiker ist, der nicht nur in Utrecht, sondern auch in Antwerpen und Gent unterrichtet und unterrichtet hat und in Deutschland und den USA geforscht hat. All das habe ich seinem LinkedIn-Profil entnommen. Daß er das Land, das seiner Königin im 2.Weltkrieg Asyl gewährte und das die Niederlande mit befreit hat, mit für den zweiten Weltkrieg verantwortlich macht und mit Nazi-Deutschland und dem faschistischen Italien gleichsetzt, ist schon erstaunlich...

 

Die Staaten der EU sollen einander doch nicht schnell den Krieg erklären?

Van Dixhoorn:

"Finden Sie es so schön, daß wir, anstatt gegeneinander, demnächst mit Russland Krieg führen werden? Denn das ist so. Wir hoffen, daß die imperialistische EU zusammenbricht. Sie ist eine Lösung aus dem 19. Jahrhundert für eine Welt des 21. Jahrhunderts."

 

 

"Das heutige politische System

ist gescheitert."

 

Und wo stehen Sie politisch?

Van Dixhoorn:

"Ich selbst habe angefangen bei der GPV und bin danach noch Mitglied von GroenLinks gewesen, das wissen Sie ja.Doch gegenwärtig bin ich nirgendwo mehr Mitglied. Ich gehe auch nicht mehr wählen.

Das heutige politische System ist gescheitert. Die Zweite Kammer erkennt nur noch die EU als Souverän an anstelle des niederländischen Volks.

 

Van Houwelingen:"Ich habe das letzte Mal die Libertäre Partei gewählt.

 

Sie mißtrauen den niederländischen "Eliten", doch sind selber ganz glücklich mit der Möglichkeit eines Referendums ...

Van Dixhoorn:

"Nein, sind wir nicht, denn es gibt ein Quorum von 300.000 Unterschriften, die man erstmal zusammenkriegen muss. Das ist Window Dressing. Ohne die App, mit der sie in Den Haag nicht gerechnet hatten, hätten wir das nicht geschafft."

 

 

Das ist der die EU betreffende Teil des Interviews. Er enthält aus meiner Sicht die wichtigsten Passagen, nämlich die, die zeigen, daß es den Initiator*innen nicht um die Ukraine geht. Wenn ich an das Wort des afghanischstämmigen Journalisten und Parlamentsabgeordneten Mustafa Najem denke, auf dem Maidan seien Menschen mit der Europafahne in der Hand gestorben, und stelle dem diesen Zynismus gegenüber, muß ich fast kotzen. Diese Leute verdienen es einfach nicht, in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu leben!
Im Ukraine-Teil wird lediglich der bekannte Putin-Narrativ über die Ukraine wiederholt: der Westen mit seinem Assoziierungsvertrag ist schuld, übrigens auch an der Krim-Annexion, weil die dort lebenden Russen ja beschützt werden mussten. Die russische Handschrift - nicht nur im Ukraine-Teil - ist überdeutlich spürbar. Diesen Teil werde ich noch nachliefern.