Während des Ramadan in Samarkand - Teil 1

Im Januar 1998 bin ich auf eigene Faust - allerdings mit Hilfe eines Kameraden und seiner Familie über Moskau nach Usbekistan gereist. ich habe einiges an Material für ein Buch gesammelt, das auch noch auf meiner ToDo-Liste steht. Im Ramadan war ich in Samarkand.

Nachdem ich mich in Taschkent mit meiner russischen Dolmetscherin und deren Familie angefreundet hatte, bin ich von Taschkent mit dem Bus nach Samarkand weitergereist.

Darüber zu berichten ist passend für den am Montag beginnenden Ramadan.

 

 

„Alles, was ich über die Schönheit Marakandas  (alter griechischer Name für Samarkand)hörte, ist wahr - mit einer einzigen Ausnahme: es ist viel schöner, als ich es mir vorstellen konnte.“

Alexander der Große von Makedonien, 4. Jh. vor Christus

Basar mit Blick auf die Moschee Bibi Khanym. Eigenes Archiv

 

Abfahrt

 

Der Prophetengefährte Anas b. Malik - Gott habe Wohlgefallen an ihm - erzählte von einer Stadt hinter dem Oxus, die Samarkand heißt. Dann befahl er: „Sagt nicht ,Samarkand’, sondern ,die beschützte Stadt’!“ Auf die Frage, wodurch Samarkand geschützt werde, erwiderte er: „Mein Geliebter, der Gottesgesandte - Gott spreche über ihn Gebete und den Friedensgruß - berichtete mir von einer Stadt...hinter dem Oxus, die „die Beschützte“ heißt. An jedem ihrer Tore stehen fünftausend Engel zu ihrem Schutz und preisen und rühmen Gott, und über die Stadt breiten fünftausend Engel die Flügel, die Bewohner zu schützen, und über diesen Engeln steht noch einer mit tausend Köpfen, tausend Mündern, tausend Zungen und ruft: „Oh, Ewiger! Oh Allah, Der Du nichts als Gott bist! Schütze diese Stadt!“ Und hinter dieser Stadt liegt eine der Wiesen des Paradieses! Dort fließt ein süßes Gewässer, wer daraus trinkt, trinkt vom Wasser des Paradieses, und wer sich darin badet, entsteigt ihm frei von allen Sünden, wie am Tag, da ihn seine Mutter gebar...Wer in dieser Stadt stirbt, stirbt gleichsam im siebenten Himmel und wird am Jüngsten Tag mit den Engeln im Paradies versammelt....“

as-Sam’ani, gest. 1167

 

Um 7:00 Uhr Abmarsch mit Elina, meine Dolmetscherin und Freundin. zur Metro. Spätestens an der Busstation bereue ich, nicht meinem ersten Impuls nachgegeben und meinen neuerworbenen Mantel angezogen zu haben. Um 8:00 bin ich sicher im Bus verstaut, bin müde und mir ist kalt. Von Haltestelle vermehren sich die „mongolischen“ Gesichter, also Kirgisen oder Kasachen. Könnte ich jetzt Russisch (wieder mal!), könnte ich sie fragen, ob ich fotografieren darf, aber die Menschen ungefragt „abschießen“ möchte ich nicht. Ich verfolge den Gedanken nicht weiter - mir ist kalt und ich bin müde.

 

Nach etwa 2 ½ Stunden Fahrt steigen Leute zu, die etwas zu verkaufen haben: „Ssamssa, ssamssa!“ (n Pakistan als "samosa" bekannt) Da zu Kälte und Müdigkeit mittlerweile noch der Hunger kommt, nicke ich eifrig, als es auch mir angeboten wird - es muß was Eßbares sein, so viel ist sicher. Der Korb wird geöffnet und ich sehe was es ist: Brötchen, gefüllt mit Fleisch, Zwiebel und Gewürzen[i]. Ich erinnere mich dunkel an den aus Moskau mitgegebenen Rat, Nie! etwas an der Straße zu kaufen, doch dann siegen die niederen Triebe - wie so oft bei mir. Das Brötchen soll 4 som kosten, mein kleinster Geldschein ist ein 10-som-Schein und die Händlerin kann nicht wechseln. Sie zögert, will dann für das Brötchen den kompletten Geldschein einstecken. Gegrummel bei den anderen Passagieren, da rückt sie etwas unwirsch noch ein zweites Brötchen heraus. Niemand außer mir kauft etwas. Ob nicht doch der Moskauer Ratschlag...? Diese Überlegung wirkt sich etwas nachteilig auf den Genuß der Brötchen aus, doch ich schiebe meine Bedenken mit einem Stoßgebet beiseite. Das Sättigungsgefühl vertreibt wenigstens Kälte und Müdigkeit. Später werde ich erfahren daß der Brötchenkauf als mein Fehler Nr.3 auf einer businternen Liste verbucht wird: die Brötchen sind im Bus mindestens doppelt so teuer, wie im Basar. 

 

Fehler bzw. Merkwürdigkeit Nr. 1 ist nach Meinung der Passagiere, als Frau alleine in einem Überlandbus zu sitzen, sich offenbar mit nichts, auch nicht mit den Preisen für „Ssamssa“ auszukennen, keine gängige Sprache zu können. Immer wenn ich mich nämlich zum Rauchen in die „Raucherecke“ des Busses, über der Hinterachse, begebe, versucht jemand, mit mir ein Gespräch anzufangen, was aber nach einiger Zeit kopfschüttelnd aufgegeben wird. Daß ich anstatt beispielsweise Marlboro, wie es sich für einen anständigen „Westler“ gehört, auch noch filterlose usbekische „Saraton“ rauche, erzeugt zusätzliches Unverständnis. Außerdem machen die zwei Stummelsätze, die ich immer wieder stereotyp wie eine kaputte Schallplatte hervorbringe, auch nicht gerade den Eindruck überragender Intelligenz. „Ya ni ponimayu russki, ya ni ponimayu usbekski. Ya hotel intourist Samarkand“, übersetzt: „Ich nix sproch Russisch, ich nix sproch Usbekisch, ich Hotel Intourist Samarkand.“ Nicht gerade höheres Russisch.

 

Als Fehler Nr. 2 wird meine Kleidung verbucht: zwei Lagen outdoor- bzw. Motorradunterwäsche, mit einem Seidenrock zum Leggins-Pullover-outfit hochstilisiert, Gore-tex-Jacke, Lammfellgefütterte Marine-Seestiefel. Niemand kann sich vorstellen, daß dieser merkwürdige Aufzug, da nicht dick wattiert, ausreichend warm hält. Wie gesagt, später werde ich erfahren, daß die gesamte Busbesatzung, ob usbekisch, russisch, kasachisch oder tadschikisch, einhellig der Meinung ist, ich hätte schlicht und ergreifend eine Schraube locker.

 Was allerdings in Deutschland undenkbar ist: man ist um mich besorgt und diskutiert, ob und wie man sich um mich kümmern soll.

Das Bild - später in Ghujduvan aufgenommen - zeigt mich mit meinem Standardoutfit.

 

Als mich auf einem der nächsten Haltestellen ein menschliches Rühren überkommt, habe ich Gelegenheit, Fehler Nr. 4 und 5 zu begehen: „To-a-lett?“, man zeigt mir grinsend den Weg. Was ich nicht wußte, ist, daß man sich beim Busfahrer abmeldet. Einige Spaßvögel machen den Vorschlag, einfach den Mund zu halten und mich auf offener Strecke stehenzulassen. Das wird aber von der Mehrheit der Fahrgäste abgelehnt und mir eine sichtlich erheiterte Russin hinterhergeschickt. „To-a-lett“ war wirklich unbeschreiblich, doch weiter will ich das hier nicht ausführen, jedenfalls waren meine Stiefel hinterher schmutzig bis weit über Knöchelhöhe. Die Russin geleitet mich wieder in den Bus, und ich entnehme den Gesichtern der Mitpassagiere, daß sie mich nun offenbar für völlig irre halten - geht denn während einer Busfahrt auch niemand auf ein öffentliches Klo? 

 

Bei der nächsten Rauchpause werde ich von einem älteren Russen angesprochen und gebe zunächst wieder meine hochdifferenzierten Stereotype von mir. „Ya ni ponimayu russki, ya ni ponimayu usbekski. Ya hotel intourist Samarkand“, und das mindestens zehnmal. Bei meinem Gesprächspartner verstehe ich nur: „Amerikanski John Roloff“, und, da er einfach nicht locker läßt, auch das mindestens zehn Mal. Er will mich also in Samarkand mit einem Amerikaner namens John Roloff zusammenbringen, wobei mir der Grund allerdings nicht klar wird. Möglicherweise arbeitet er für ihn oder macht mit ihm Geschäfte. Ist ja auch egal. Ein Amerikaner in Samarkand hat für mich irgend etwas von Humphrey Bogart, Hauch von Hollywood und Abenteuer und dazu habe ich keine Lust. „Ya hotel intourist Samarkand“ - „Amerikanski John Roloff“. Nach dem elften Mal gebe ich auf, denn irgendwie meine ich, eine innere Stimme zu vernehmen, die mir sagt, laß’ dich mal drauf ein. Na gut, dann werde ich eben Mister Roloff bitten, mir ein Taxi ins Hotel zu rufen. Und vielleicht ist es ja auch nicht schlecht, in Samarkand einen Amerikanski zu kennen.

 

Mein Verstand rät mir zur Vorsicht. Aber schließlich lasse mich drauf ein. Mischa, so heißt mein Schutzengel, ruft ein Taxi heran und wir landen - in der katholischen Pfarrei von Samarkand - The Parish of St. John The Baptist.

 

John Roloff, oder Father Ivan ist der Pfarrer, ein amerikanischer Franziskaner-Missionar. Mischa berichtet ihm kurz von der Busreise. Father John bietet mir an, bei ihm zu wohnen, so lange ich in Samarkand bin. Ein Fremdenführer ist auch gleich vor Ort. Andrej, eines von Father’s Schäfchen ist Student und verdient sich ein Zubrot als Fremdenführer - alhamdulillah! Father John fastet auch gerade und so bin ich ab morgen wenigstens nicht alleine, wenn ich weiterfaste.

 

Zuerst hatte Father John allerdings Bedenken: eine ex-katholische Konvertitin???

Ich erfahre, daß es als Problem angesehen wird, daß sowohl Scientology als auch die Freikirchen in der ehemaligen Sowjetunion sehr aktiv sind. Alle "klassischen" Religionen haben sich gegen diese Gefahr zusammengeschlossen. und man hatte abgesprochen, nicht in den Herden der Kollegen zu wildern.

Somit wird der Imam der Hauptmoschee angerufen. Als der vermeldet, daß er keine Möglichkeit habe, mich unterzubringen, geht das in Ordnung. ich werde für die Zeit meines Aufenthalts in der polnischen katholischen Mission in Samarkand wohnen.

Wird fortgesetzt.