Vernunft und Empathie aus den Niederlanden

Mein guter Freund Huib Riethof und ich haben uns schon öfter gegenseitig übersetzt und ausgetauscht. Huib war in den guten, alten 68er Zeiten Stadtrat in Amsterdam und beschäftigt sich unter anderem mit Stadtentwicklung. Für mich ist er eine wichtige Stimme aus den Niederlanden, und deswegen habe ich jetzt mit seiner Erlaubnis einen seiner Facebook-Posts übersetzt.

Die niederländischen Demokraten sollten sich lieber mal mit ihrem eigenen Faschisten beschäftigen, bevor sie alle Türken über einen Kamm scheren.

Türken sind hierhin gekommen, wie sephardische und aschkenasische Juden, deutsche Saisonarbeiter, Friesen, Eurasier aus Niederländisch-Indien (Indos)*, Molukker, und wer weiß, welche anderen noch. Alle har ben ein Recht auf emotionale Bindungen an ihr Herkunftsland. Das kann man niederländischen Auswanderern in Kanada und Australien nicht mißgönnen, und somit Türken und Marokkanern auch nicht. Genauso wenig, wie Du und ich das den (Kindern von) spanischen Republikanern mißgönnen, die nach 1939 nach Frankreich oder Mexiko flüchten mussten.

 

Somit müssen wir integrieren. Das ist ein gegenseitiger Prozess. Dabei kann man sehr viel gewinnen. Marokkaner und sephardische Juden führten vergangene Woche "Moriscos" auf, eine musikalische und szenische Erinnerung an al-Andalus. So etwas möchte ich nicht missen.

In der Türkei besteht eine große Theatertradition: in jedem Dorf gibt es eine Theatergruppe. Die anatolische Küche ist supergesund und vielfältig.

 

Der Völkermord an den Armeniern, begangen unter der Führung preussischer Offiziere, ist natürlich furchtbar. Aber müssen wir die Türken von heute dafür mehr verurteilen als uns selbst, die wir 30 Jahre später in Indonesien genauso genozidal vorging?

 

Niederländer türkischer(400.000) und marokkanischer Herkunft (600.000) werden noch lange eine Bindung  an ihr Land und ihre Kultur, aus dem ihre (Groß-)Eltern gekommen sind,aufrecht erhalten. Was ist daran falsch? Respektieren wir .nicht auch die Bindung, die unsere jüdischen Freunde, die unsere jüdischen Freunde, seien sie religiös oder säkular, zu einem Land fühlen, aus dem sie vor zwanzig Jahrhunderten gekommen sind? Oder aus dem sie ausschließlich in ihren Gedanken kommen?

 

Ihr sagt: "Wir wollen in den Niederlanden kein Türkenland". Aber wollen die Hollandtürken denn ein Türkenland in den Niederlanden? Nein, wollen sie nicht! Viele Türken haben, genauso wie Chinesen oder Indos, ihre Stellung hier gefunden. Sie sind Gemüsebauern, vermieten Garagen, sind Restaurateure, Ärzte, Buchhalter oder Kolumnisten. Einige sind sogar preisgekrönte Literaten und das auf NIEDERLÄNDISCH.


Ich habe vor einigen Jahren eine türkische Frauenorganisation die es geschafft hatte, Mädchen aus der anatolischen Provinz zu schulen zu Zugbegleiterinnen, Gemeindebeamtinnen und Polizistinnen.

Ich bin stolz auf unsere türkischen und marokkanischen Mitbürger, die oft in unserer sie bekämpfenden, ängstlichen Gesellschaft gegen den Strom ihre Stellung behaupten. Ich will sie nicht mehr missen - egal, was Wilders auch ruft.

Und ich bin froh, daß, gegenüber  den 1500 Erdogan-Fans vom Rotterdammer Konsulatkrawall, 44.000 Rotterdammer Türk*innen stehen, die nicht (aktiv) für die AKP auftreten wollen. Das ist ein schönes Integrationsresultat. Und mit diesen Menschen will ich solidarisch sein und sie nicht ausgrenzen, genauso wenig, wie ich die  Juden aus Buitenveldert und Amstelveen ausgrenze.


Wenn die Auseinandersetzung zwischen Türken, die für Demokratie und Minderheitenrechte sind und solchen, die dagegen sind, in die Niederlande verlegt wird, muß die auch hier mit demokratischen Mitteln geführt werden können. Wenn das für einige lästig ist - dann ist das so.

 

Sie hätten Wilders halt eher anpacken müssen.