Als diese Dystopie in der Form einer Graphic Novel im August 2016, zunächst in Französisch erscheint, scheint der Sieg Marine Le Pens nur eine Fiktion zu sein: was passieren könnte, wenn sie gewählt würde. Eine deutsche Ausgabe mit einem Vorwort von Ulrich Wickert
Das Buch nimmt die Aussagen aus dem Parteiprogramm des FN ernst: was sie tun würde, wenn sie denn gewählt würde und beschreibt, eingebettet in eine Geschichte, wie der Ablauf sein könnte.
Den Franzosen und Französinnen wurde mitgegeben, keine*r solle später einmal sagen können, er/sie habe nichts gewusst.
Nach der Verweigerung der Unterstützung für Emmanuel Macron durch Mélenchon-Anhänger, Nicht- bzw "blank" (Leere-Stimmzettel)-Wähler, Kommunisten und die - in Frankreich noch immer wirkmächtige -
katholische Kirche und den mutmaßlich russischen Hackerangriff auf Emmanuel Macrons Bewegung "en Marche!"bin ich mittlerweile überzeugt, daß wir uns von jetzt ab in 90 Minuten mit einer
Präsidentin Le Pen auseinandersetzen müssen. Vielleicht ist ja noch Zeit, Ähnliches in Deutschland zu verhindern. Das Mantra von "Pest oder Cholera" so vieler deutscher Linker ist ein
überdeutliches Warnzeichen.
Die in einer damals noch fernen liegende Zukunft beginnt, als am 7. 5. die 94-jährige, ehemalige Widerstandskämpferin Antoinette Giraud ihre Stimme abgegeben hat, in ihrer Begleitung Fati, eine senegalesische Migrantin, die sie bei sich wohnen lässt, und die ihre Ausweisung fürchtet. Abends kommen in ihrer Wohnung noch Antoinettes Enkel Stéphane und dessen Freund Tariq hinzu, um am Fernseher den Wahlausgang zu verfolgen.
Marine Le Pen gewinnt die Wahl mit 50,41% - bei 37% Nichtwählern. Antoinette und die Jugendlichen werden den weiteren Verlauf kommentieren.
Die Dystopie - Inhaltsangabe
Bereits unmittelbar nach der Wahl gibt es Demonstrationen gegen das Wahlergebnis; die Demonstration wird gewalttätig, als sie von Rechtsextremisten angegriffen
wird. Die französische Polizei, im Aufstandsbekämper-Outfit löst diese Demonstration auf.
Am folgenden Tag geht ein Blog mit dem Namen "résistance.fr" online. Am gleichen Tag nimmt Marine LePen mit eiskaltem Siegergestus die Präsidenteninsignien von ihrem Vorgänger Hollande entgegen, einschließlich des Koffers mit den Atomcodes.
Es folgt die Vorbereitung eines Referendums zur Abschaffung des Euro - Le Pen wird es gewinnen. Am 25. Mai führt ihr erster offizieller Besuch sie nach Deutschland. Merkel versucht es mit rationalen Argumenten, Le Pen pampt zurück - mit den üblichen Vorwürfen gegen Merkels Flüchtlingspolitik.
Nachdem Le Pen sich noch um Ihr repräsentatives Präsidentenportrait gekümmert hat und alle "Marianne"-Büsten im Land gegen solche mit ihrem Portrait ausgetauscht hat, absolviert sie das traditionelle Gartenfest im Elysée-Palast. Es sind nicht nur ex-Linke Rechtsextremisten wie Alain Soral, Antisemiten wie der "Komiker" Dieudonné und die üblichen Verdächtigen wie Brigitte Bardot, Alain Delon, Michel Houellebecq und Journalist Eric Zemmour eingeladen, sondern auch französische Kulturgrößen, bei denen man es nie vermutet hätte, daß die ins rechte Lager geeilt sind bzw schon immer dort waren, wie beispielsweise der Regisseur Jean-Luc Godard, der schon 2010 in einem Zeitungsinterview gefordert hatte, Hollande möge Marine Le Pen zur Premierministerin machen. Kulturell weht ein Wind wie seinerzeit in Deutschland unter Goebbels: "Es ist modern, reaktionär zu sein".
Danach geht es Schlag auf Schlag, wie Autor François Durpaire in seinem Vorwort schreibt, eine Kettenreaktion: sie beginnt mit dem Beschluss, die öffentlich-rechtlichen Medien finanziell auszutrocknen, sofern es nicht unmittelbar gelingt, dort die "eigenen Leute" zu installieren und mit der Anordung, die Überwachung der Bürger auszuweiten und die bereits erhobenen Daten so zusammenzufassen, daß man nicht nur die politischen Gegner herausfiltern, sondern sie auch zur bereits fest beschlossenen Massenausweisung nutzen kann. Diese wird in Gang gesetzt und trifft auch Fati, Antoinettes Schützling und Helferin, der zukünftig nichts übrig bleibt, als das Geschehen hilflos aus ihrer afrikanischen Heimat zu beobachten. Durch die Massenausweisung wird die Wirtschaft geschwächt, besonders dort, wo es viele Migrant*innen als Arbeitskräfte gibt. Da viele der - meist mittelständischen - Unternehmen in Schieflage geraten, kommen die freiwerdenden Arbeitsplätze keineswegs jetzt den Franzosen zu Gute.
Danach kommt das Referendum über die Wiedereinführung des Franc. Der Autor lässt dessen Konsequenzen in einem Fernsehinterview von Dominique Strauss-Kahn erläutern,
dem früheren Präsidenten des Internationalen Währungsfonds. Auf der Basis einer Aussage von Marine Le Pen, daß sie mit einer Abwertung des Franc um 25% rechne, wird erläutert, daß die
französischen Schulden, seien sie privat oder öffentlich, viele Schuldner in die Zahlungsunfähigkeit treiben werden. Nach französischem Recht seien nämlich, entgegen dem, was Le Pen immer
behauptet hat, nur 30% der Gesamtschulden nach französischem Recht zu betrachten. Somit würden die französischen Schulden bei ausländischen Unternehmen um 180 bis 230 Milliarden anwachsen -
nicht gerechnet Zins und Zinseszins. An der hohen Arbeitslosigkeit würde sich nichts ändern, im Gegenteil. Die Unternehmen wären gezwungen, das Lohnniveau zu senken, auch um die durch die
Abwertung.
Die Massenausweisungen zeitigen ebenfalls wirtschaftliche Folgen: die ehemals französischen Kolonien in Afrika öffnen ihre Märkte Zukunft mehr für China.
Es folgt, sehr zum Entzücken des russischen Präsidenten Putin, Frankreichs Austritt aus der Nato.
Im Überseedepartement Neukaledonien kommt es zu separatistischen Aufständen.
Dann lässt der Autor sowohl Résistance-Kämpferin Antoinette als auch Präsidentinnen-Vater Jean-Marie sterben. Letzterer erhält auf Anordnung seiner Tochter ein Staatsbegräbnis und gilt fortan als rehabilitiert.
Dann zeigen sich die "Risse": es kommt zu Massendemonstrationen gegen den zunehmenden Rassismus und die ebenfalls stark angestiegene Arbeitslosigkeit, auf die die Regierung mit Verstärkung der Überwachung jedes einzelnen Bürgers und der Verhängung des Ausnahmezustands reagiert.
Marine Le Pens Nummer 2, Florian Philippot, von ihr zum Präsidenten der Nationalversammlung gemacht, räumt am 11. Januar 2018 im Interview ein, daß es mittlerweile viele Unzufriedene gebe. Diese Gruppen, die den traditionell seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo durchgeführten "Republikanischen Marsch" in "Marsch der Toleranz" umbenannt hätten, würden diesen "instrumentalisieren". Auch Marine Le Pen meint, wer das Land verändern wolle, müsse akzeptieren, dabei manche vor den Kopf zu stoßen.
Zu guter Letzt wird Philippot von einer weiter nicht benannten Gruppe der ganz extremen Rechten entführt. Aus der Unterhaltung, die Le Pen mit einem ihrer Berater über den Anführer der Gruppe, nur als "Er" bezeichnet, führt, geht hervor, daß sie diesem "Er" anscheinend Zugeständnisse gemacht hat, die jetzt einfordert. "Er" stellt ihr ein Ultimatum: sie soll ihn zum Premierminister machen.
Es ist der 4. Februar 2018: Das Land ist vor die Wand gefahren und Le Pen weiß nicht mehr weiter.
Der Zeichner Farid Boudjellal hat, auf der Basis vieler Photos die Aussagen des Buches illustriert. Autor François Durpaire hat die Geschichte entwickelt, indem er sich gefragt hat welche Folgen die - als Beleg ins Layout eingearbeiteten - programmatischen Ankündigungen haben würden. Daraus ist eine düstere Dystopie entstanden. In von jetzt ab 90 Minuten werden wir wissen, ob sie Wirklichkeit wird. Ganz gleich, wie die Wahl ausgeht: auf jeden Fall ein empfehlenswertes Buch!