Das Exil der Tscherkessen: neun Fakten über die Tragödie

Die Tragödie der Armenier wurde am 28. Mai 2016 vom Bundestag "mit großer Mehrheit" als Völkermord anerkannt und die Armenier des "besonderen Respekts" versichert. Aus meiner Sicht fallen damit alle anderen Tragödien, die man mit gleichem Recht als Völkermord bezeichnen könnte, unter den Tisch, wie zum Beispiel der Völkermord an den Tscherkessen.
2014 gewann Maria Höfl-Riesch auf dem "Roten Feld", Krasnaja Poljana, zwei Goldmedaillen. Dort feierten am 21. Mai 1864, also heute vor 153 Jahren, die russischen Truppen die Vollendung der ethnischen Säuberung und die Verbannung der Tscherkessen in die Türkei.. In Deutschland wurde das dröhnend beschwiegen. Die bekanntesten Menschen in Deutschland mit tscherkessischen Wurzeln sind Cem Özdemir und Necla Kelek.
Jedes Jahr am 21. Mai gedenken die Tscherkessen überall auf der Welt der Ermordung und des Exils ihrer Vorfahren im Jahr 1864. Deswegen habe ich jetzt mal einen Text über die Tscherkessen übersetzt. Quelle: Circassia.xyz, 22.05.2017, Autor: Nart Tukar

 

Die Tscherkessen, ein muslimisches, indigenes Kaukasusvolk

Die Tscherkessen sind ein überwiegend muslimisches Volk, dessen Heimatland sich im Kaukasus befindet - einer geographischen Region, die sich vom Osten des Schwarzen bis zum Kaspischen Meer erstreckt.

Sie sind traditionell als Bergbewohner bekannt und an das Leben unter harten Bedingungen gewöhnt. Traditionell folgen sie einer aus 12 Stämmen bestehenden Stammesstruktur.

Das Land, das ihnen ihren Namen gibt, ist Tscherkessien, das am östlichen Schwarzen Meer gelegen ist. Dieses Land war ein strategisches Gebiet, das sich zwischen zwei vergangenen Imperien befand, die ebenfallls scharfe Rivalen waren - die muslimischen Osmanen und den christlichen Russen. Die Tscherkessen standen kulturell und politisch unter dem Einfluss des Osmanischen Reichs und dessen Vasallen, den Krimtataren.

Diese Verbindung, zusammen mit der kritischen Lokalisation, machte Tscherkessien im 19. Jahrhundert zum Ziel einer umfassenden russischen Invasion.

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Bildnachweis: TRT-world. Die Flagge der Tscherkessen. Jeder Stern repräsentiert einen der zwölf Stämme.

 

1. Die Tscherkessen und der Islam

Die meisten Tscherkessen waren Christen, bevor sie im 15. Jahrhundert zum Islam konvertierten.
Mehrere muslimische Staaten rekrutierten Tscherkessen und andere Kaukasier in ihre militärischen Eliteeinheiten.
Tscherkessische Kämpfer erreichten in muslimischen Sultanaten sogar hohe Positionen.
Die ägyptische Mameluken-Dynastie, die im 13. Jahrhundert an die Macht kam, und den größten Teil des Mittleren Ostens für mehr als 300 Jahre regierte, wurde von Tscherkessen geführt.
Zur Wende zum 17. Jahrhundert hatten letztendlich die meisten Tscherkessen den Islam als ihre Religion angenommen.
Bildnachweis: TRT-world. Tumanbey II., der letzte tscherkessische Mamelukensultan. Er regierte im 16. Jahrhundert.

 

2. Die russische Expansion

Die Expansion von  Russland richtete sich nach Süden, wo große muslimische Bevölkerungen lebten - einschließlich der Krimtataren und Tscherkessen - die dort seit Jahrhunderten unter dem Schutz der Osmanen und der persischen Kadscharen lebten.
Als es expandierte, wollte das russische Imperium die Verbindung zwischen dem Osmanischen Reich und den Tscherkessen brechen. Es wollte auch die volle Kontrolle des nordöstlichen Schwarzen Meeres, da die Osmanen dessen Süden kontrollierten.
Um das zu erreichen, entscheden sie sich, sich sich das tscherkessische Land zu nehmen. Die russiche Armee marschierte ins Kaukasusgebirge, nachdem sie benachbarte muslimische Großmächte wie die Kadscharen (Vorläuferdynastie der Pahlavi im Iran. DS)  bereits geschlagen hatte.
Die neue politische Realität erschuf für alle Muslime in der Region. Doch die Tscherkessen wurden am härtesten getroffen, denn sie leisteten den stärksten Widerstand.

 

3. Der Russisch-Tscherkessische Krieg

Für mehr als 100 Jahre - zwischen 1763 und 1864 - kämpften die Tscherkessen in den Bergen des Kaukasus gegen die russischen Armeen. Sie setzten gegen die Russen während des Krieges wirkungsvolle Guerillataktiken ein.

Doch Machtkämpfe unter den tscherkessischen Stämmen und innere Unstimmigkeiten zwischen Häuptlingen und einfachen Menschen schufen ernste Probleme für den Widerstand.

Zusätzlich gelang es den Tscherkessen nicht, eine effektive Militärallianz mit anderen Kaukasusvölkern zu schmieden, obwohl sie einen gemeinsamen Feind hatten.

Trotz all dem kämpften die Tscherkessen hart, um den Krieg zu verlängern und dabei wandten sie Taktiken an, die die russischen Militärstrategen in einer Art und Weise frustrierten, die sie niemals erwartet hatten.

Eine Illlustration von 1840 zeigt Tscherkessen, die ein russisches Fort angreifen, das auf dem Grund und Boden eines Schapsugendorfes gebaut worden war.

 

4. Russland greift tscherkessische Dörfer an

Die russische Armee entwickelte Anfang des 19. Jahrhunderts gegen tscherkessische Kommandounternehmen eine neuie Vergeltungsstrategie.Den russischen Truppen wurde befohlen, Dörfer anzugreifen, in denen die Familien vermutlicher Kämpfer lebten.
Die Russen führten verschiedene Attentate und Entführungen durch, um die breite Unterstützung im Land auszuradieren, die die tscherkessischen Kämpfer als Bergbewohner genossen.
Sie zerstörten Ernte und Herden und liessen damit die einfachen Tscherkessen ohne Mittel zum Überleben.
Letzendlich wurden sie gezwungen, sich entweder den russischen Herrschaft zu unterwerfen, oder sie wurden aus ihren Dörfern vertrieben.

 

6. 1864, ein dunkles Jahr für die Tscherkessen

Zwischen dem 6. März und dem 21. Mai 1864 wurden fast alle Ubychen - ein herausragender tscherkessischer Stamm - nach Anatolien im Osmanischen Reich ins Exil getrieben.
Die Vertreibung war so massiv, dass das Russische Reich nicht genug Bauern finden konnte, die das fruchtbare Land im Westkaukasus kultivieren konnten.
Die Tscherkessen in aller Welt markieren den 21. Mai als Tag der Erinnerung an ihr tragisches Exil. Gegenwärtig schätzen tscherkessische Aktivisten, daß 90% aller Tscherkessen - ungefähr 3 Millionen Menschen - während des Vertreibungsprozesses aus dem Kaukasus verbannt wurden.

 

7. 1864, Ein Jahr, das im Russischen Reich gefeiert wurde

Das gleiche Jahr wurde vom Russischen Reich natürlich unterschiedlich gesehen.Es sah die Ermordung und Vertreibung und einen Grund zum Feiern.Die russische Kaukasusarmee erklärte: 

"Dieses Jahr haben wir ein Ziel erreicht, das in der Geschichte ohne Beispiel ist. Keiner der Bergbewohner ist mehr auf seinem angestammten Platz und es wurden Maßnahmen ergriffen, die Region zu säubern."

Die Vertreibungen wurden durchgeführt, damit Kaukasien für die Besiedlung durch christliche Russen vorbereitet wurde.
Kaiserlich-russische Berichte behaupten,
"mehr als 400.000 Tscherkessen wurden getötet und 497.000 wurden gezwungen, in die Türkei zu fliehen. Nur 80.000 ließ man in ihrer Heimal am Leben."

 

8. Die "schwimmenden Friedhöfe"

Das Osmanische Reich sandte Schiffe, um die Tscherkessen nach Anatolien zu bringen. Während des Massenexila verloren Tausende Tscherkessen ihr Leben in den Fluten des Schwarzen Meeres. Krankheiten und Ertrinken waren die hauptsächlichen Todesursachen. Das Schwarze Meer wurde während dieser grauenvollen Reise zum Grab für Tausende. Die Tscherkessen-Ansiedlungspolitik des Osmanischen Reichs, die manche als Mittel ansehen, größere Kontrolle über dessen christliche Bevölkerung auszuüben, wurde auch dafür kritisiert, daß sie schlecht geplant und durchgeführt worden sei.

 

9. Neue Heimatländer

Heute leben und gedeihen die Tscherkessen in allen vier Himmelsrichtungen. Es wird geschätzt, daß auf der Welt ungefähr 8 Millionen Tscherkessen leben, die Mehrheit davon in der Türkei.
Sie haben zu vielen Entwicklungen und Erfolgen in der Türkei beigetragen - so zur politischen Reformbewegung, die als "Jungtürken" bekannt wurde, und ebenso zum türkischen Unabhängigkeitskrieg. (Die 1932 amtierende Miss Türkei, die im gleichen Jahr den Miss-Universum-Titel erringt, Keriman Halis Ece, ist ebenfalls Tscherkessin. Sie und viele Angehörige ihrer Familie spielen eine wichtige Rolle im kulturellen Leben der Türkei. Anm.DS)
Ihnen wird ebenfalls die Erschaffung des modernen Amman, der Hauptstadt des heutigen Jordanien, zugerechnet. Und mehrere Premierminister des Irak hatten tscherkessische Wurzeln.

Die königlich-jordanische Tscherkessengarde am 11: Januar 2016. Der Basman-Palast in Amman ist eine der königlichen Residenzen und wird für Staatsempfänge genutzt. Die einzigartigen Uniformen der Garde werden mit 16 Patronen dekoriert, Eine Patrone enthält traditionell Gift für den Selbstmord, falls sie in Gefangenschaft geraten, oder um es in eine Rinne ihres Schwerts zu gießen.

 

In Syrien und Ägypten haben einige Elite-Familien, die über großen wirtschaftlichen und politischen Einfluss verfügen, ebenfalls einen tscherkessischen Hintergrund. Doch viele von ihnen sehnen sich immer noch danach, in ihre Heimat im kaukasischen Bergland zurückzukehren. Heute ist diese Region Teil der Russischen Föderation.

Jedes Jahr am 21. Mai gedenken die Tscherkessen überall auf der Welt der Ermordung und des Exils ihrer Vorfahren im Jahr 1864.

Nachkommen tscherkessischer Vertriebener bei einer Gedenkzeremonie im Kandira Distriket in der türkischen Kocaeli-Provinz am 17. Mai 2015.

 

Bildnachweis: Originalpost/TRT-world.