Aydan Özoğuz und die deutsche Kultur nach Alexander Gauland -Teil 2

Nachtragen mit ausdrücklicher Leseempfehlung möchte ich noch den ausgezeichneten Artikel von Marcus Engert in Buzzfeed,der die Gauland-Rede ebenfalls seziert, sowie die von ihm dokumentierten Antworten.

 

Meinem Vater verging der "Stolz" spätestens, als er auf einer der Maschinen saß, die den Terrorangriff auf Coventry flogen.

Aber widmen wir uns doch mal jenen "Leistungen in beiden Weltkriegen", für die Gauland den "Stolz" einfordert. Implizit enthält diese Forderung die Legenden beider Kriege: für den Ersten die Dolchstoßlegende, für den Zweiten die Legende von der "sauberen Wehrmacht".

In diesem Teil widme ich mich vorrangig den "Leistungen" des Ersten Weltkriegs.

Bildnachweis: en.wikipedia, die Dolchstoßlegende

 

Der Erste Weltkrieg

Es geht mir hier nicht um Kriegsschuldfragen, sondern alleine um die Art der Kriegsführung und die war schon im Ersten Weltkrieg von deutscher Seite ein Bruch "mit den Gesetzen und Gebräuchen des Landkriegs". Der  Historiker Sönke Neitzel hat dazu einmal sinngemäß gesagt, vor dem Ersten Weltkriegs sei es um Entscheidungen gegangen und die Gegner hätten einander nach Kriegsende wieder respektiert. Die Deutschen hätten es dann im Ersten Weltkrieg geschafft, sich so verhasst zu machen, daß für die Kriegsgegner der Krieg erst dann zuende sein konnte, als Deutschland am Boden lag. Das hatte sich Deutschland mit seinen "Leistungen" redlich verdient. hier ist eine kleine Auflistung:

"Gott mit uns" - preußisches Koppelschloß mit Krone und Lorbeer - bis 1918

Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe: Als gesichert kann mittlerweile gelten, daß die deutsche Armee zwecks Terrorisierung der Bevölkerung in Belgien und Nordfrankreich Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe einsetzte.

 

Da hielt  dann das Koppelschloss die Hose nicht mehr.

 

Trotz eindeutiger Quellenlage, und obwohl sie weithin als Symbol deutscher Grausamkeit diente, die sich tief in das kollektive Gedächtnis der Belgier*innen und Franzosen/Französinnen eingegraben hat und "Vergewaltigung" zum Symbol für die gesamten deutschen Kriegshandlungen wurde, ist das in Deutschland fast kaum bekannt. Übrigens hat auch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg die Massenvergewaltigung als Kriegwaffe eingesetzt.

Bildnachweis: deutsche Aggression gegen Belgien, verbildlicht als Vergewaltigung. Wikipedia, public domain

Die Massaker an der Zivilbevölkerung: zu den deutschen Kriegsverbrechen zählten die ebenfalls zwecks Terror ausgeübten Massaker an der Zivilbevölkerung, die insgesamt 23.000 Opfer forderten. z.B. in Aarschot (156 Tote), Andenne (211 Tote), Tamines (383 Tote) und in Dinant (674 Tote).

 

Desweiteren führte die Besatzungsmacht drakonische Strafen ein: so wurde am 23. August 1915 der Minenarbeiter Paul Busière in Tourcoing/Frankreich wegen des Besitzes von Brieftauben mit dem Tod bestraft. Die Besatzungsmacht verteilte daraufhin folgenden Aushang:

„Aus diesem Anlass bringt der Armee-Oberbefehlshaber der Zivilbevölkerung in Erinnerung:

 

  1. Jegliche Person, welche Tauben oder Brieftauben hält oder verbirgt, wird mit dem Tode bestraft.
  2. Derselben Strafe setzt sich jegliche Person aus, welche Brieftauben oder oder von einem Flieger abgeworfene Gegenstände, Briefschaften und Schriftstücke irgendwelcher Art findet und dieselben behält oder verbirgt, anstatt sie sofort dem nächsten deutschen Platzkommandanten zu übergeben.
  3. Bei Bewilligung mildernder Umstände wird Zuchthaus auf Lebensdauer oder 10-15 Jahre verhängt.
  4. Jeder Versuch, jede Aufreizung oder Mittäterschaft zieht dieselben Strafen nach sich.“

Bildnachweis: Denkmal für die Opfer des Massakers in Tamines, Wikipedia gemeinfrei.

 

Deutsche Kultur, oder so...

Und, wo Gauland von "deutscher Kultur" spricht: als deutsche Barbarei schlechthin ging ins Bewusstsein nicht nur der Kriegsgegner die Zerstörung der Universität von Löwen am 25. August 1914 ein:

 

Das Bewusstsein um den völkerrechtswidrigen Einfall in das neutrale Belgien zum Zweck der Umgehung der befestigten französischen Grenze und ein neues Infanteriegewehr, das auf große Entfernung noch traf, und die unerwartet heftige Gegenwehr der als „Praliné-Soldaten“ (=Weicheier) geschmähten belgischen Soldaten ließen in den Deutschen die Paranoia gegenüber angeblichen „franctireurs“, Heckenschützen, wachsen. Dazu kam die von zu Hause importierte Verachtung alles Katholischen („Papisten“) seit Bismarcks Kulturkampf die man auf die Stadt und Universität Löwen übertrug und so den Katholizismus und die katholische Geistlichkeit als Treibkraft hinter dem Widerstand der Belgier halluzinierte.

Als den Soldaten eines deutschen Checkpoints in der Innenstadt des besetzten Löwen (Louvain, Leuwen) am Abend dieses Tages Kugeln um die Ohren pfiffen, hatten sie folglich auch nur diese eine Erklärung; sie beschossen die Häuser, aus denen ihrer Meinung nach die Schüsse kamen und brannten zunächst diese, danach weitere Häuser nieder. Dabei brannte auch die Universitätsbibliothek mit ihren  1.000 Handschriften, 300.000 Büchern und 800 Wiegedrucken (Inkunabeln) vollständig aus.  200 Männer wurden ohne Gerichtsurteil erschossen, Frauen und Kinder nach Deutschland verschleppt, die Stadt am 29. August vollständig niedergebrannt.

 

Dieses und andere den Deutschen zur Last gelegte Kriegsverbrechen markiert nach Meinung vieler Historiker einen Umschlagpunkt in der Kriegführung: waren die Kriege der Vergangenheit noch recht unemotionale Entscheidungskämpfe, die an Soldaten auf einem „Schlachtfeld“ delegiert wurden und die Zivilbevölkerung unberührt liessen (Clausewitz: „Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“), so wird jetzt die Zivilbevölkerung zunehmend mit einbezogen. Die „Repressalien“ (angeblich völkerrechtskonforme Vergeltungsmaßnahmen ) in Löwen  betrafen  fast ausschließlich Zivilisten. Der Name „Löwen“ als  emblematisch für deutsche Kriegsgreuel klang der Welt in den Ohren wie eine Generation später die Namen Lidice und Guernica.

 

Nach Artikel 247 des Versailler Vertrages verpflichtete sich Deutschland, den Verlust durch gleichwertige Bücher und Drucke zu ersetzen, als Kompensation für die verlorenen Kunstwerke mußte Deutschland den legal in deutschem Besitz befindlichen „Abendmahlsaltar“ des niederländischen Malers Dierk Bouts und das Triptychon „Die Anbetung des Lamms“, auch „Genter Altar“ genannt, der flämischen Brüder Jan und Hubert van Eyck an  Belgien übergeben. Das war das erste Mal, daß die Zerstörungen von Kunstwerkenund Kulturgütern international geächtet und geahndet wurden

Artikel 247.

  Deutschland verpflichtet sich, an die Hochschule zu Löwen binnen drei Monaten nach Empfang der ihm durch Vermittlung des Wiedergutmachungsausschusses zugehenden Aufforderung Handschriften, Wiegendrucke, gedruckte Bücher, Karten und Sammlungsgegenstände zu liefern, die der Zahl und dem Werte nach den Gegenständen entsprechen, die bei dem von Deutschland verursachten Brande der Bücherei von Löwen vernichtet worden sind. Alle Einzelheiten dieser Erstattung werden von dem Wiedergutmachungsausschuß bestimmt.
  Deutschland verpflichtet sich, durch die Vermittlung des Wiedergutmachungsausschusses binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrags an Belgien, um ihm die Wiederherstellung zweier großer Kunstwerke zu ermöglichen, abzuliefern:
  1. die Flügel des Triptychons der Brüder van Eyck "Die Anbetung des Lammes" ("Agneau mystique"), früher in der Kirche Sankt Bavo in Gent, jetzt im Berliner Museum;
  2. die Flügel des Triptychons von Dierk Bouts, "Das Abendmahl", früher in der Kirche Sankt Peter in Löwen, von denen sich jetzt zwei im Berliner Museum und zwei in der Alten Pinakothek in München befinden.

Bildnachweis: Genter Altar, Wikipedia gemeinfrei/Zerstörte Universitätsbücherei Löwen, Wikipedia gemeinfrei

Am 16. Mai 1940, wurde die wiedererbaute Universitätsbibliothek von den Deutschen, die zum zweiten Mal widerrechtlich in Belgien einmarschiert waren, durch ein weitreichendes Artilleriegeschoss zum zweiten Mal zerstört.­­­­­­

 

Die Hinrichtung von Edith Cavell Die britische Krankenschwester Edith Cavell, *4. Dezember 1865, wird in Brüssel am 12, Oktober 1915 durch ein deutsches Erschießungskommando hingerichtet. Cavell war als Oberin einer Krankenschwesternschule, L'École Belge d’Infirmières Diplômées, der „Belgischen Schule für examinierte Schwestern“ und einer Brüsseler Klinik tätig, die zunächst, wie die Schwesternschule auch, vom Roten Kreuz übernommen, dann von den Deutschen zu einem Lazarett umgewandelt wird, in dem Cavell sich zunächst Reputation erwirbt, weil sie Freund und Feind unterschiedslos bestmöglich behandelt.

Was niemand weiß: Cavell ist längst einer Untergrundorganisation beigetreten, die es britischen, französischen und belgischen Soldaten und Wehrpflichtigen ermöglicht, über Grenze in die Niederlande zu flüchten.  Bei ihren Vernehmungen gibt sie alles zu. Besonders belastend für sie ist, daß man bei ihr Briefe findet, in denen sich die Soldaten bei ihr bedanken; sie habe es ermöglicht, daß sie hätten in ihre Heimatländer zurückfinden können. Das sind Belgien, Frankreich und Großbritannien, also Länder, mit denen sich Deutschland im Krieg befindet.

Angeklagt wurde sie der Verletzung deutscher Gesetze, weniger im Fokus stand ihre Verletzung des Kriegsvölkerrechts. In der Fassung der ersten Genfer Konvention von 1906 ist der Artikel 7 eindeutig: eine Sanitätseinheit oder –einrichtung verliert ihren völkerrechtlichen Schutz, wenn sie etwas tut, was dem Feind schadet. Der deutsche expressionistische Dichter Gottfried Benn ist aus dienstlichen Gründen – er dient als Stabsarzt in Brüssel und ist als Hautarzt mit der Gesundheitskontrolle der dortigen Prostituierten beauftragt – als Arzt bei der Hinrichtung anwesend. Später wird er im Aufsatz „Wie Miss Cavell erschossen wurde“ die Hinrichtung rechtfertigen.

Die Möglichkeit zur Revision gibt es nach deutschem Kriegsrecht nicht und so wird sie mit ihrem belgischen Mitstreiter, Pilippe Bauq am 12. Oktober 1915 erschossen und gilt seitdem in Großbritannien und Belgien als Märtyrerin und Heldin, nach der u.a. viele Krankenhäuser und Schulen benannt sind.

Die Deutschen müssen schon bald erkennen, daß die Hinrichtung von Cavell, wenngleich formal rechtens, ein schwerer politischer Fehler war,: Cavell war Frau und Krankenschwester!

Die Hinrichtung wurde für die Briten einer ihrer größten Propaganda-Erfolge, stets zusammen mit der Versenkung der Lusitania  und dem Niederbrennen von Löwen und seiner Bibliothek  genannt. Gewalt gegen eine Frau, mag sie sich auch eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht haben, ist für die meisten unakzepabel – Deutschland ändert seine Kriegsgesetze: Bei verurteilten Frauen soll in Zukunft ein Gnadengesuch möglich sein.

Das rettete das beschädigte deutsche Ansehen nicht mehr. Deutschland war kein Gegner mehr, mit dem man ein Kriegsende aushandeln könnte, sondern der Feind, den es vollkommen niederzukämpfen gilt.

Bildnachweis: Oberin Cavell im Kreis einiger Krankenschwestern in Brüssel, (c) edith.cavell.org.uk

 

Die Dolchstoßlegende - :Und bei solchen stolz-machenden Leistungen hätten die ruhmreichen Soldaten doch eigentlich den Krieg gewinnen müssen, nicht wahr... Wenn der Krieg verloren ging, obwohl die Soldaten "im Felde unbesiegt" waren? -sie waren von hinten erdolcht" worden. Von wem? Von Linken, von Politkern, von Juden, von Franzosenfreunden. Auf dem nebenstehenden Bild sieht man den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, der am 9. November 1918 in Berlin die Republik ausrief und ab Februar 1919 als Ministerpräsident die erste demokratische Regierung der deutschen füjhrte. Philpp Scheidemann stirbt 1939 im Exil in Kopenhagen.

Hinter ihm steht Matthias Erzberger und lacht. Nachdem der Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff klar war, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, schafften die es, "die Zivilisten" davon zu überzeugen, den Friedensvertrag auszuhandeln und zu unterschreiben. Erzberger unterschrieb die Waffenstillstandsvereinbarungen von Compiégne und sprach sich danach für die Annahme des Versaillier Vertrags aus, im Gegensatz zu Scheidemann, übrigens, der aus Protest von seinem Regierungsamt zurücktrat. Beide wurden - wie andere auch - als "Erfüllungspolitiker" geschmäht. Für seine Unterschrift und eine kluge Steuerreform als Finanzminister wurde er zu einer der Hassfiguren der extremen Rechten. Zwei Mitglieder der rechtsextremen Terror-Organisation Consul, ehemalige Offiziere, übrigens, erschossen ihn am 26. August 1921.

Das obige Eingangsbild identifiziert, neben Politikern und sonstigen Linken weitere Schuldige: Juden und Franzosen - Marianne, das französische Nationalsymbol ist zur hässlichen Jüdin verkommen.

All das ist anschlussfähig zu heute, zusammen mit der hier bereits erörterten Notstandsrhetorik. Eine fünfte Kolonne, die heute den Dolch führt, ist ja auch schon identifiziert. Und eine Pistole ist auch schon dabei. So, nur so, meinen diese Leute, kann "das Volk" einen erneuten Dolchstoß verhindern.

wird fortgesetzt.