Die islamische Welt und ich - Wendejahr 1979

Was 1979 alles passiert ist, kann man hier  bei Wikipedia nachlesen, an einiges erinnere ich mich deswegen so gut, weil es mich und meine Wahrnehmung bis heute beeinflusst.

Das, was ich von damals schreibe, ist natürlich heute gefärbt. Deswegen beanspruche ich auch nicht, einen exakten Bericht abzuliefern, sondern meine Erinnerungen darzustellen. Das Jahr hatte für mich Sex and Drugs and Rock'n Roll und die derste Begegnung mit dem Islam.

Mein damaliger Lebensgefährte war ein anerkannter Asylbewerber, Sohn eines ermordeten eritreischen Separatisten, der sich aus Saudi-Arabien davongemacht hatte, weil ihm das dort alles zu eng war ...

 

Hamed, Sex and Drugs and Rock'n Roll

Damals war ich im letzten Studienjahr, aber mehr in den einschlägigen Lokalen in der Düsseldorfer Altstadt zu finden. Dort lernte ich Abdullah aus Somalia kennen, mit dem ich eine Menge Spaß hatte. Abdullah empfahl mich quasi an seinen Kumpel Hamed weiter: "...ein ganz scharfes Geschoss..." was natürlich die Wahrnehmung eines jungen, eben frisch aus Saudi-Arabien eingetroffenen Eritreers erstmal bahnte.

Meine bahnte das auch: eine Menge Spaß und in der Hinsicht hielt er, was er versprach. Mit dem Beginn des angepeilten Jura-Studiums ließ er sich allerdings Zeit, was er sich finanziell auch erlauben konnte: von seiner noch in Saudi-Arabien lebender Verwandtschaft wurde er großzügigst alimentiert. Heute soll er übrigens Anwalt in Süddeutschland sein.

Doch plötzlich brach zwischen uns beiden die Liebe aus, was die ganze Beziehung doch komplizierte. Er hielt sich unverdrossen für einen guten Muslim, was ihn dazu brachte, gelegentlich sturzbesoffen und/oder zugedröhnt auf den Gebetsteppich zu sinken - Anmerkung: besoffen oder sonstwie zugedröhnt hat der Prophet seinerzeit als Erstes untersagt. Wenn er mir verkündete, ein guter Muslim könne nur ein ordentliches Mädchen heiraten und sich da ziemlich islamisch vorkam, fand ich das nur albern, und dachte nur, dann brauche ich mir keine Sorgen zu machen, denn mir erklärte er öfters ziemlich weitschweifig, daß ich das nicht wäre.

 

Wir führten eine ziemliche on-off-Beziehung Motto. sie küssten und sie schlugen sich. Auf seine persönlichen Fähigkeiten zur Konfliktlösung konnte er sich bei mir immer verlassen. Wenn ich ihn, während einer Trennungsphase mit einer anderen Frau in der Altstadt sah, und er, nach erfolgter Versöhnung flötete, er hätte die ganze Zeit gelitten wie ein Hund, und ich nachfragte, was ich denn da gesehen hätte, wurde mir versichert, diese Frau würde ihm erstens überhaupt nichts bedeuten, und wäre zweitens sowieso doof. und drittens: ob ich das nicht ziemlich daneben fände, ihn überhaupt auf sowas anzusprechen.

 

Mein me-too-Moment

Irgendwann kam er aus Saudi-Arabien wieder und brachte mir mehrere Abayas  mit. Eine, mit Kopftuch, probierte ich ihn zuliebe an und als er seufzte, so sähe ich wunderschön aus, so wäre ich seine Frau, erstarrte ich erst zu Eis, riss mir dann die Sachen vom Leib, warf sie ihm ins Gesicht und fauchte: "Mach das nie wieder mit mir". Emotional bei uns beiden das reine Chaos, das er eines Tages zu klären versuchte, indem er in meinem Bereitschaftsdienst mit zwei Flugtickets aufkreuzte: er wolle mit mir zu seinen Verwandten fliegen. Er habe ihnen von mir erzählt, und sie hätten ihn vor die Wahl gestellt, da Ehe für einen Muslim die halbe Religion sei, zügig mich, oder eine sechzehnjährige, jungfräuliche Landsfrau zu heiraten. Ich habe ihm doch sehr zur Landsfrau geraten.

 

Die Geschichte endete, nach immerhin sieben Jahren, übrigens, so, daß er eines Tages versuchte, mich zu vergewaltigen. Hat er nicht geschafft, ich habe es irgendwie geschafft ihn zusammenzuschlagen und bin allerdings so ausgerastet, daß ich, obwohl er am Boden lag, aus einer Kopfplatzwunde blutete und im Gesicht aussah wie ein unterlegener Boxer, immer weiter auf ihn eingeschlagen habe. Mit einem Steakklopfer aus Hartholz und einem Bügeleisen. Mein Glück war, daß ich da in einer WG wohnte - die Tür ging auf, eine Mitbewohnerin hielt mich fest, ein Mitbewohner zog Hamed weg und fuhr ihn nach Hause. Die Mitbewohnerin meinte bloß, ich wäre haarscharf an einem Totschlag vorbeigeschrammt, was mir - der Fall Ingrid von Bergen war noch frisch - wohl mindestens sieben Jahre eingebracht hätte.
"Halt Dich von dem Mann fern, ihr seid das reine Gift füreinander! Sonst endest Du doch noch im Knast, oder, wenn er die nächste Prügelei gewinnt, auf dem Friedhof..."

Daran habe ich mich gehalten, Gottseidank!

 

Warum erzähle ich das jetzt alles?

Nun, wir hatten auch gute Zeiten, in denen wir unter Anderem auch sehr gute Gespräche geführt hatten, auch über den Islam, was ich emotional allerdings nicht an mich heranließ. Zuviel EMMA im Kopf, weswegen mich das Thema Genitale Verstümmelung natürlich sehr umtrieb, was ihn nervte. Trotzdem schilderte er mir seine Sicht der Dinge: aus seiner Sicht seien es die Frauen, die an dieser Tradition festhielten und die Männer, die darunter litten: ich in der Hochzeitsnacht seinen Weg trotz einer schreienden und weinenden Braut mir Finger oder Messer bahnen zu müssen, sei ein Alptraum. Viele Babies kämen tot oder schwerbehindert zur Welt, weil sie, wenn die Hebamme nicht aufpassen würde, bei der - schnellen - Austreibungsphase mit der noch offenen Schädeldecke auf die FGM-Narbe der Mutter knallten, was eine Hirnblutung und entweder den sofortigen Tod oder eine schwerwiegende Behinderung hervorriefe.

Die Mütter seien samt und sonders der Meinung, ihrer Tochter was Gutes zu tun - eine Auffassung, über die auch Waris Dirie, ein somalisches Ex-Model, das gegen die Genitale Verstümmelung kämpft, berichtet hat. Unbeschnittene Mädchen würden schlicht nicht geheiratet, an den Rand gedrängt und müssten im Extremfall damit rechnen, als Aussenseiterin zu verhungern. Und nein, seine Schwestern seien nicht beschnitten. Andere äthiopische Stämme "verschönerten" ihre Frauen mit Lippentellern, je größer der Teller, desto schöner die Frau. Man schaffe es nicht, den Frauen sowohl die Durchführung von FGM , die weibliche Genitale Verstümmelung als auch die Lippenteller auszureden, denn diese Traditionen würden im Wesentlichen durch Frauen weitergetragen, wenngleich auch Religionsgelehrte und männliche Ärzte weiterhin behaupteten, FGM sei gut und gesund für die Frauen. Was ich sehr gut nachvollziehen konnte, war der Widerwillen gegen westliche Klugscheißerei. So angesprochen habe man den Eindruck, wieder mit dem Blick der Völkerschauen - siehe Eingangsbild - angesehen zu werden.
 Konnte ich schon damals gut nachvollziehen und ich denke, die erfolgreiche Arbeit von Rüdiger Nehberg gibt dem Recht.

Er hat mir auch erzählt, wie er, als er in Ägypten das College besuchte, zur Israelfeindlichkeit abgerichtet wurde: im Haus seien als Fußabtreter israelische Flaggen verwendet worden, am Eingang zum Klassenzimmer hätte ein Portrait von Golda Meir, damals israelische Ministerpräsidentin gehangen und die Lehrer hätten darauf geachtet, daß auch jeder, der den Klassenraum betritt, das Portrait anspuckt. Da wundert es mich nicht, wenn das sich bei so vielen in der arabisch-islamischen Welt in den Köpfen festgesetzt hat, nur: der Westen, zu dem ich in diesem Fall auch Russland zähle, hat lange mindestens zugesehen.

Und was Saudi-Arabien betrifft, wo er ja auch gelebt hatte, bediente er die damals schon bestehenden Vorurteile die Dumpfbacken schliefen auf Teppichen, die sie über Gruben gelegt hätten, in denen sie ihr Geld verbuddelt hätten. Das Jungvolk träume von einem Studium im Westen - wegen der willigen Frauen. Letzteres mag, aus der Sicht eines traditionellen Saudis stimmen, ersteres mit Sicherheit nicht, schon 1979 hatte Saudi-Arabien eine moderne Infrastruktur. Allerdings bemerkte ich auch damals schon, daß man dem saudischen Königshaus auch damals in der islamisch/arabischen Welt nicht überall freundlich gesinnt war - im Gegenteil.

 

Das Gefühl der fortlaufenden Kränkung

hatten die meisten Studenten aus dem Globalen Süden, die ich, sei es durch Hamed, sei es, daß ich bei anderen Gelegenheiten kennengelernt habe. Sie hatten aus meiner Sicht das Gefühl, von den Europäern nicht auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, auch dann nicht, wenn sie sich "westlich" anzogen und auch sonst gebärdeten - wozu nicht nur westliche Anzüge, sondern auch westliche Lebensweise, Alkohol, Schwein, Frauen.
Einige Lügen, die heute auch wieder verbreitet werden: "die Schwarzen fressen uns die Haare vom Kopf". Die Wahrheit ist jedoch, daß es seit 600 Jahren der Westen war, der gefressen hat: 17 Millionen Menschen als Sklaven in die Neue Welt - nachdem man dort bereits die Ureinwohner "durch Arbeit vernichtet" hatte, z.B. die Araukaner in Jamaika. Die Gier des belgischen Königs Leopold II kostete 10-12 Millionen Kongolesen das Leben... undsoweiter, undsoweiter. Weiter wurden Unmengen von Rohstoffen aus den Ländern geschleppt, und dafür die Umwelt vernichtet, wie z.B. durch die Ölförderung in Nigeria.

 

1979

1979 ist dann einiges passiert, daß, so denke ich, viele Jungs aus der Dritten Welt zur Frage geführt hat: "Wer bin ich eigentlich? Bin ich ein etwas sehr pigmentierter Träger westlicher Werte, oder kann ich mich auf eigene Traditionen besinnen? Ich glaube übrigens, daß genau das auch den Mann von Betty Mahmoody umgetrieben hat: "Bin ich ein schwarzhaariger Beinahe-Amerikaner, oder bin ich Iraner? Und wenn ich Iraner bin, was heisst das für mich?" Mit diesen Fragen konnte Mahmoody nichts anfangen. Das so hochgelobte Buch ist eine Chronik der Ignoranz - aber manchmal war ich sicher auch nicht besser.

Damals hatte in Äthiopien noch der DERG die Macht, kurz gefasst, ein stalinistischer haufen, der in Äthiopien den Sozialismus einführen wollte, zehntausende seiner Gegner ermorden ließ, und das Land zugrunde richtete. Für den 1974 ermordeten Kaiser Haile Selassie hatte auch niemand Sympathien, hatten zum Teil die Familien schon zu seinen Zeiten für die Unabhängigkeit Eritreas gekämpft.

Der Sturz des Schah wurde von allen enthusiastisch begrüßt - und welcher politisch linke Deutsche hätte damals diese Begeisterung nicht geteilt?
Was natürlich richtig reinhaute, war die Besetzung der Großen Moschee von Mekka, die ja heute gemeinhin als Initialzündung des islamistischen Terrors gilt. man sog alles an Nachrichten auf, das die Saudis schlecht aussehen ließ.

Bei der sowjetischen Invasion Afghanistans lagen die Sympathien auf Seiten der Mujaheddin und schon bald wurde gesammelt - für Waffen...

Für ziemliche Irritationen sorgte auch die Beendigung des Kriegszustandes Israel-Ägypten - klar, wenn man gerade in Ägypten dazu abgerichtet worden war, sich an der israelischen Flagge die Schuhe abzuputzen und das Bild von Golda Meir anzuspucken.

 

Zusammengefasst:

Zwar wollte ich die nächsten zehn Jahre mit nichts mehr was zu tun haben, was mit islam zu tun hatte, und ich denke nicht, daß es diese Beziehung war, die mich zum Islam geführt hat - das ist eine eigene Geschichte. Für Eines war sie jedoch lehrreich: zu erkennen, daß das, was allgemein als westliches Wertesystem postuliert wird - wozu ich auch die Sowjetunion/Russland rechne - sich als Richtschnur kompromittiert hat. Der Globale Süden holt auf, und es gibt dort bereits jetzt Gesellschaften, die sich, um es mal "russisch" auszudrücken, "von den Knieen erhoben haben" und mit denen bereits jetzt zu rechnen ist. und das ist auch gut so.