Wie ich um die Einhaltung der Fünf Säulen des Islam kämpfte, lernte, daß man im Ramadan besser nicht Auto fährt, im Ramadan Sport trieb und immer zunahm, im buddhistischen Zentrum
die Opfergaben aufgegessen habe, Islam und Bundeswehr verbinden konnte, einen islamischen Frauenverein mit ins Leben rief, auf einem von den Frauen organisierten Muslimtreffen ein
Grundsatzreferat hielt und in der Gebetsnische der Imam-Ali-Moschee Aerobic vorturnte und ins Visier des Verfassungsschutzes geriet. Und meine erste große Rede 1993 auf einem Muslimtreffen
zum Download.
Wie meine militärische Umwelt mit meiner Religion klarkam und mein muslimisches Umfeld eher nicht ... Und ich hatte das Glück, eine echte muslimische Imamin kennenzulernen, die mich vieles
gelehrt hat.
Bad Zwischenahn
Doch jetzt fing mein Weg erst an. Suren zum Beten lernen, Ramadan. Mittlerweile war ich in Bad Zwischenahn stationiert und trainierte fleissig im angesagten Fitness-Center. Auch im Ramadan, was sich als keine gute Idee herausstellte - auf dem Rückweg nach Hause baute ich einen Unfall. Überhaupt stellte sich das gesamte Unternehmen "Ramadan" als irgendwie schwierig heraus. Ich musste damals recht lange Strecken fahren, um Leute zu treffen, die ich bereits kannte. In Bad Zwischenahn war ich so ziemlich auf mich alleine gestellt. Außerdem: ich musste mich an die Bundeswehrgepflogenheiten anpassen und sehen, wie ich fachlich mit meinem Alptraumfach, der Inneren Medizin klarkam. Zu der Zeit gab es des Öfteren auch Schwestern, die meinten, mein Dienst bei der Bundeswehr sei vollkommen unislamisch: ich hätte mit Männern zu tun, liefe in Männerkleidern herum (die Bundeswehr-Dienstkleidung für Krankenausärzt*innen ist für Männer und Frauen gleich: weiße Hosen, weißes Hemd mit Dienstgradabzeichen) und trüge kein Kopftuch. Die subtilste Bemerkung war dann: "Schwester, hast Du das auch islamisch geprüft?" - "Ja, laß das mal meine Sorge sein."
In Zwischenahn lernte ich auch schmerzhaft, daß Gezänk im Ramadan das Fasten bricht und dass Sport nur bedingt tauglich zur Überwindung des fastenbedingten Hungerasts ist. Ich war nämlich sehr reizbar, und anstatt bei einer Auiseinandersetzung leise vor sich hinzubeten "ich faste, ich faste", ging ich keinem Streit aus dem Weg. Und wenn ich mich mal wieder hatte provozieren lassen oder selber provoziert hatte, war damit der Fastentag gelaufen.
Und Sport während der Fastenstunden - in meinem Fall Krafttraining, Schwimmen und Laufen - sollte man nicht übertreiben. Einmal, asl ich vom exzessiven Sport nach Hause, bin, weil ich es eilig hatte, mal zu schnell angefahren, habe eine Fußgängerin knapp erwischt und es nicht gemerkt, Zwei Tage später musste ich zur Polizei kommen, es läge eine Anzeige wegen Fahrerflucht vor. Man wolle das Auto sehen. Um 23:00. Ich habe das Auto vorgeführt, es konnte kein Schaden festgestellt werden, und die Polizei konnte sich davon überzeugen, daß ich wirklich nicht so aussah wie beschrieben: graue Eisenherzfrisur und Hut auf dem Kopf. Am nächsten Tag habe ich dann festgestellt, daß mein rechtes vorderes Bremslicht kaputt war. Alarmmäßig in die Werkstatt und zum Anwalt, auf dessen Anraten ich dann eine "Geldauflage" von 300 DM zur Einstellung des Verfahrens akzeptiert habe. Und die Lehre daraus: nicht mit abeschmiertem Kreislauf Auto fahren.
Lüneburg und Hamburg
Krankenhausärztin in der Inneren Medizin war nun wirklich nicht Meines. Da ohnehin in unseren Verträgen stand, wir hätten vier Wochen im Jahr für Truppenarztvertretungen zur Verfügung zu stehen, meldete ich mich fast jedesmal, wenn eine Anfrage kam, freiwillig, was auch sehr gut ankam, da die Kolleg*innen alle den Facharzt für Innere Medizin anstrebten, und ihren "Katalog" zu erfüllen hatten. ich hingegen musste als Allgemeinarzt nichts mehr erfüllen und wurde bald aus dem Ambulanzdienst herausgelöst, in gegenseitigem Einvernehmen: Ultraschalluntersuchungen waren mir ein Graus, Rektoskopien schwierig, da damals noch die meisten Soldaten Probleme damit hatten, wenn eine Frau die Untersuchungen durchführte. und EKG's sind mir heute noch ein Buch mit sieben Siegeln. Truppenarzt lag mir irgendwie mehr. Aus Bad Zwischenahn "in die Truppe" wurde ich mit einer sehr aufschlussreichen "Beurteilung" (=Zeugnis) verabschiedet: alles an mir wurde gelobt: meine Führungsqualitäten, meine Kameradschaft, meine Beliebtheit bei Patienten und Personal, Fleiß und Engagement - bloß eines nicht: meine Fähigkeiten in der Inneren Medizin. Darüber schwieg das Zeugnis dröhnend laut.
Ich wurde nach Lüneburg versetzt, was erfreulicherweise bedeutete, daß ich nicht sehr weit vom "Islamischen Zentrum Hamburg", also der Imam-Ali-Moschee entfernt war. Damals empfand ich die Moschee als Zentrum eines aufgeklärten, pluralistischen Islam: wenngleich eine iranisch-schiitische Moschee, hatten auch sunnitische Muslime dort ihren Platz. An der Imam-Ali-Moschee wirkte z.B. der große Theologe, Imam und Lehrer Seyyed Mehdi Razvi, sowie die Imamin (!!!) und Theologin Halima Krausen. Halima, die der Deutschlandfunk in seiner Serie "Prägende Köpfe des Islam" mit diesem Interview vorstellt. Wer wissen will, was eine echte Imamin ausmacht, kann sich mit ihrem Leben und Wirken - das insha'Allah noch viele Jahre andauern wird - beschäftigen und kann so Vergleiche ziehen.
Bildnachweis: (c) qantara, Imamin Halima Krausen
Imam Razvi leitete lange Jahre die Hamburger deutschsprachige Muslimgemeinde und hat jeden Samstag eine viel besuchte Koranstunde geleitet. Nach seinem Tod wurde Halima Krausen seine Nachfolgerin. Ihre Freitagspredigten als Imamin sind als Buch ( Zeichen an den Horizonten - Zeichen in euch selbst / Freitagspredigten zum Nachdenken, Darin sind Zeichen für Nachdenkende) Kindle und ebook erhältlich. Hier ist noch ein Text über Koran und Judentum, hier ein Artikel über die Thora und den Islam. Auch denen zur Lektüre empfohlen, die ihr vermeintliches Wissen meinen ausreichend aus den "islamkritischen" Steinbrucharbeiten an der Sura Tauba, der 9. Sure des Koran bezogen zu haben.
Für mich ein besonderes Kennzeichen des Hamburger Islam war der interreligiöse Dialog, der dort bis heute blüht und ganz maßgeblich mit von Halima getragen. Die Hamburger Uni hat ein
einzigartiges Institut, die Akademie der Weltreligionen. Es lohnt
sich, die gesamte Webpräsenz mal durchzuklicken.
Das Faß, das ein mittlerweile dekonstruierter
"Islamexperte" über angeblich viele, angeblich als Moscheen getarnte Salafisten-Brutstätten aufgemacht hat, kann ich aufgrund meiner Erfahrungen und meiner heute noch bestehenden Erfahrungen
nicht nachvollziehen. Traurig, daß dieser Herr auch mit
etablierten Journalist*innen zusamengearbeitet hat, wie mit Relotius-Enttarner Juan Moreno, den in diesem Fall anscheinend seinin der Causa Relotius bewiesenes gutes Gespür verlassen
hatte.
Dem interreligiösen Dialog fühlte ich mich auch persönlich verpflichtet: zusammen mit der evangelischen und katholischen Militärseelsorge hatten wir als Erstes einen Gesprächskreis ins Leben gerufen, an dem ausser Muslim*innen und Christ*innen auch Bahai'i teilnahmen. Getroffen - mit gemeinsamem Essen haben wir uns entweder im Haus des evangelischen Standortpfarrers, wo die Pfarrfrau uns bekocht hat, oder bei einer der muslimischen Schwestern - die auch alle besser kochen konnten als ich. Ich hatte die Gelegenheit, einige sehr gute Vorträge zu hören, unter Anderem waren die Vorträge des evangelischen Standortpfarrers ein Genuss - wenngleich er keinen Hehl daraus machte, daß seine Absicht wer, uns, d.h. die Muslime und die Baha'i alle in den Schoß der Nordelbischen Landeskirche zurückzuführen. Es wurden auch Geschenke ausgetauscht: dem katholischen Standortpfarrer schenkte ich einen Adhan (=Gebetszeiten)Wecker, er revanchierte sich mit einer von innen rosa strahlenden Madonna, aus Lourdes mitgebracht.
Im Rahmen der politischen Weiterbildung habe ich auch Treffen der Soldaten mit Muslimen organisiert, z.B. in Centrum-Moschee in der Hamburger
Böckmannstraße. So gut die Veranstaltungen auch waren: manchmal konnten Peinlichkeiten nicht verhindert werden: bei einer Offiziersweiterbildung, zu der die Offiziere in Zivil erschienen waren,
wollten unsere muslimischen, türkischen Gesprächspartner wissen, warum sie denn nicht in Uniform erschienen seien:
"Verstehen Sie uns bitte nicht falsch, Sie sind uns in jedem Anzug willkommen, aber in der Türkei sind die Soldaten stolz auf ihre Uniform und würden jede Gelegenheit nutzen, das auch zu
zeigen."
Obwohl so nicht beabsichtigt: das saß! Das nächste Mal "saß" es bei den Musliminnen: zu einer weiteren Veranstaltung, gemeinsam mit der evangelischen Militärseelsorge, hatte ich auch Halima
Krausen eingeladen. Der Hoça ließ sich verspätet entschuldigen...
Die Soldaten waren vom evangelischen Standortpfarrer gut gebrieft und irgendwann kam unvermeidlich der Vers 4:34, der "Schlagevers". Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, nur, daß Halima erklärte, daß das Verb keinesfalls die "Genehmigung" enthielte,
seine Frau zu verprügeln, sondern daß das entsprechende Verb einfach "mißbilligen" bedeute, daß es bei dem Gehorsam um Gehorsam nicht gegenüber einem Menschen, sondern gegenüber Gott ginge...
Soweit so gut, da erschien der - frisch aus der Türkei zuversetzte Hoça, wurde ebenfalls nach der Interpretatione dieses Verses gefragt, und zumindest ich bekam erstmal Schnappatmung:
ja, wenn die Frau ihrem Mann nicht gehorche, dürfe der Mann sie schlagen - "aber nicht ins Gesicht". Ja, und wobei sie gehorchen solle: "wenn der Mann will, daß abends um 19:00 das
Essen auf dem Tisch steht..."
Bildnachweis: Centrum-Moschee, Hamburg, Böckmannstraße 40, (c) Centrum Moschee
Essen und Trinken, Geburtstag und buddhistische Meditationen
Besonders im Ramadan ist Essen und Trinken ja ein Thema. Sehr viele Muslim*innen nehmen im Ramadan zu, in Ägypten im Schnitt 7kg. Zum Fastenbrechen, Iftar, treffen sich nämlch Familie und Freunde, oder man geht gleich zum Iftar in eine Moschee. Jede muslimische Hausfrau rechnet es sich zur Ehre an, das Beste auf den Tisch zu stellen, was ihre Kochkünste hergeben. Aber das triifft ja genauso auch jedes Weihnachtsessen zu. Zum Solo-Fastenbrechen hatte ich dann ein Essen entdeckt, das ich einen Ramadan fast jeden Abend gegessen habe: Foul Medammes. Her das Rezept, noch dem ich das immer gekocht habe:
Diese Speise ist in der ganzen arabischen Welt bekannt und eigentlich ein Frühstück. Schmeckt aber auch abends, zum Fastenbrechen. Eine islamische Tradition ist es auch, das Fasten mit einer Dattel zu brechen. Wohlgemerkt, EINER! Ich hingegen habe mein Fasten, solange ich noch geraucht habe, immer mit einer Zigarette und einem Kaffee gebrochen. Und Datteln ... ich habe es nie bei einer einzigen belassen.
Interreligiöses
Wir hatten auch intensive Kontakte zu den Vertretern anderer Religionen und haben einige gute Sachen zusammern gemacht. Besonders spannend fand ich dasTibetische Zentrum und besonders die Nonnen
haben mir großen Respekt abgenötigt. Bei jedem Wetter mit kahlem Schädel in Robe durch Hamburg - das hat mich beeindruckt. Ein Beispiel: die Dame im nebenstehenden Bild ist Bhiksuni Sönam Chökyi
(Maria Viktoria Gereck), eine "angebrütete" Psychiaterin, die ihre Facharztausbildung allerdings abgebrochern hat. Bei Sönam Chökyi habe ich später mal ein Meditationsseminar mitgemacht. Ich
dachte mir, man kann ja nur lernen. An der Übung das mittleren Weges bin ich allerdings krachend gescheitert. Es ging darum, sich nicht in extreme Emotionen fallen zu lassen: der, den man über
alles liebt, könnte im vergangenen Leben der schlimmste Feind gewesen sein, der, den man intensiv hasst, könnte im vergangenen Leben die Mutter gewesen sein. Die erste Meditation beschäftigte
sich mit dem Hassen: wie sollten die Person visualisieren, die wir im Moment am intensivsten hassten, und uns vorstellen diese Person sei im vergangenen Leben unsere Mutter gewesen. Vor meinem
geistigen Auge erschien mein damaliger Vorgesetzer: fies, laut, unfair und hinterhältig. So sehr ich mich anstrengter, mit vorzustellen, daß der Herr Gerneralarzt im vergangenen Leben meine Mama
gewesen war ... die Vorstellung war einfach zu irre, und ich fing lauf an, loszulachen. Damit habe ich natürlich die weihevolle, meditative Stimmung versaut. Die Bhiksuni nahm es allerdings
gelassen. Für den zweiten Teil dieser Übung habe ich dann allerdings freiwillig den Raum verlassen. Man will sich ja nicht unbeliebt machen. Ein anderes Mal bin ich auch haarscharf am
Unbeliebt-Machen vorbeigeschrammt: wir warteten im Tibetischen Zentrum auf irgendjemand und standen vor einem Tisch, liebevoll dekoriert mit Blumen, Räucherstäbchen, kleinen Buddhafigürchen - und
mehreren Tellern mit kleinen, bunten Kuchen. Ach, dachte ich mir, die versüßen uns die Wartezeit, wie nett und lange zu. Ich hatte schon die Hälfte der Küchlein vernichtet, als das einer
mitwartenden Schwester auffiel:
Menno! Du hast fast die ganzen Opfergaben aufgefressen!
Frauenverein Baitunisa, Muslimtreffen, Verfassungsschutz
Damals wurden in Deutschland noch große Muslimtreffen abgehalten, die Treffen Deutscher Muslime. Mittlerweile hatten wir einen Frauenverein gegründet, den "Islamischen Frauenverein Baitunisa e.V. Als an uns der Vorschlag herangetragen wurde, daß wir mal das soeben anstehende Treffen organisieren könnten, haben wir uns - da alle unheimlich Bock auf praktische Tätigkeit. Es wurde eine Koch-Gruppe organisiert, eine Putzkolonne, wir hatten einige Brüder verpflichtet, nach dem Frühgebet mit den Herrren an der Alster zu joggen und ich turnte Aerobic vor, nach Trommelrhythmen. Damals gnbing das noch. Drei beturbante Herren guckten mal kurz vorbei und amüsierten sich königlich. Wir hatten eine irakische Dichterin eingeladen, Huda al-Hilali, und eine Musikgruppe. Aus der Schweiz war ein Fernsehteam angereicht und unsere Präsidentin wurde zu mehreren Interviews gebeten. dann hatten wir noch einige Referate, die auch sehr mutig waren, u.a. eines über Islam und Drogensucht. Und ich hielt das Hauptreferat, das bei Interesse hier heruntergeladen werden kann:
Im Verlauf des Referats guckten schon die ersten Schwestern schreckensstarr von der Empore - aber im Gegenteil: man stand Schlange, um auch eine Kopie zu bekommen. Allerding kann es nicht allen gefallen haben: ein Vierteljahr später besuchten mich zwei Herren, einer vom Verfassungsschutz, einer vom MAD in meinem Büro: aus der islamischen Szene hätten sie Hinweise bekommen, kich hätte gute Beziehungen zur algerischen Islamischen Heilsfront. Daß ich den Ehemännern einiger Schwestern ein Dorn im Auge war, wusste ich. Einige der Brüder hatten ihren Frauen verboten, mit mir zu reden und Hausverbote gegen mich verhängt. Zur damaligen Zeit hatten sich einige Kader mit ihren Familien nach Deutschland abgesetzt, und die deutschen Sicherheitsbehörden wussten nicht so recht, was sie davon halten sollten, beruhigten sich aber. später, zumal diese Familien bis heute entweder friedlich in Deutschland leben oder aber schon längst nach Algerien zurückgekehrt sind. Ich sei deren Führungsoffizier. Das "Gespräch" - mir wurde gleich gesagt, meine Freiwilligkeit sei für dieses Gespräch nicht unbedingt erforderlich - dauerte fünf Stunden, dann kamen die Herren zu dem Schluss, dass es sich wohl um ein Gezänk "Judäische Befreiungsfront gegen Befreiungsfront von Judäa" handelte, wie sie das auch aus der rechten Szene kennen würden. Und damit war das erledigt. Spätere Denunziationsversuche bei meinem Dienstherrn- alle aus der "islamkritischen" Szene - liefen genauso ins Leere.