Dagmar Schatz fällt auf fake-news rein - oder wie man Muslimisches ohne Muslime hinkriegt

Nebenstehende Montage habe ich ohne Gegencheck übernommen und es damit an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen: zumindest nachzusehen, ob es andere unabhängige Quellen gibt, die das bestätigen. Und übersehen, daß der Name eines einschlägig bekannten und bereits wegen Volksverhetzung verurteilten Trolls drunter steht. Vielleicht kann ich es ja mal mit der nachstehenden Aufzählung deutlich machen, daß selbst mir sowas nicht in den Kleidern hängen bleibt. Es gibt sicher viele Muslim*innen, denen es ähnlich geht. Ich verspreche allerdings, solche Posts in Zukunft sorgfältiger zu prüfen.

 

"Warum?"

Dankenswerterweise wurde ich sofort darauf aufmerksam gemacht und konnte meinen Post auch recht zeitnah korrigieren.
Aber die Frage nach dem Warum sollte ich jedoch noch etwas ausführlicher antworten, als ich das bereits bei fb getan habe. ich denke nämlich, daß es vielen Muslim*innen so geht wie mir und ich denke, das sollte man der nicht muslimischen Umwelt noch mal verdeutlichen.

Mir bleibt das, was in den vergangenen zehn Jahren in den (sozialen) Medien so alles veröffentlicht wurde, nämlich nicht in den Kleidern hängen und ich denke, daß es viele anderen Muslim*innen auch so geht. Aber ich bleibe jetzt erstmal bei mir. Ich nehme mal einige Beispiele, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind.

 

Idomeneo

Das erste Mal fiel mir das bei den Auseinandersetzungen um die Absetzung der Oper "Idomeneo" im September 2006 auf. Innensenator Körting war besorgt, teilte dies der Intendantin mit, die die Oper absetzte. Es fiel den Verantwortlichen plötzlich auf, daß die abgeschlagenen Köpfe von Jesus, Buddha, Poseidon und Mohammed ein Problem sein könnten. Unter großem Medienrummel wurde die Oper abgesetzt, es gab Pressekonferenzen, ds Feuilleton überschlug sich und Berlin hatte seinen Theaterskandal. Man gab zu Protokoll, man ängstige sich.
Die Crème de la Crème der deutschen Unterhaltung hatte schon früher angegeben, sich zu fürchten, und konstatierte, man würde ja gerne Witze über den Islam machen, traue sich aber nicht. Sogar die Ikone der deutschen Fernsehunterhaltung, Harald Schmidt bekannte ihr Gefühl. Deutschlands Karnevalisten ließen sich ebenfalls vernehmen. Ja, man ängstige sich ganz furchtbar.

Bildnachweis: focus

Die Handlung von Idomeneo ist übrigens eine genaue Parallele zur biblischen Geschichte um Abraham: in beiden Fällen wird ein Vater aufgefordert, seinen Sohn zu opfern: im Falle von Idomeneo zur Einlösung eines Versprechens, im Falle von Abraham, weil Gott Abrahams Gehorsam prüfen will. In beiden Fällen wird letztendlich dem Vater die Opferung des Sohnes erspart.
Auf Abraham beziehen sich alle drei Weltreligionen, und es wäre interessant, ob es sich um eine Geschichte handelt, die zeitgleich sowohl bei den Juden als auch bei den Griechen als Frage nach dem Gehorsam gegenüber einer höheren Macht verhandelt wurde. Aber das würde hier den Rahmen sprengen.

Drei Monate später wurde die Oper dann doch aufgeführt, unter Polizeischutz, wie sich das gehört. Irgendjemandem muss dann aufgefallen sein, daß bislang in der Inszenierung des Skandals keine Muslime vorkamen und so erdachte man einen Elchtest und dokumentierte genauestens, wer der Einladung des damaligen Innenministers Schäuble Folge leistete. Kunstfreiheit, und so...

 

Das angebliche "Züchtigungsrecht im Koran"

Von vermeintlicher Freundlichkeit durchdrungen war das im März 2007 gefällte Urteil einer Frankfurter Familienrichterin - Hintergrund: eine Deutsche mit marok-kanischen Wurzeln begehrte die Scheidung von ihrem gewalttätigen Ehemann vor Ablauf des Trennungsjahres, weil sie sich davon erhoffte, nicht weiter geschlagen und mißhandelt zu werden. Schließlich habe der Mann laut Koran ein Züchtigungsrecht. Die entsprechenden Artikel in der WELT bzw der Frankfurter Rundschau wurden mit entsprechend saftigen Bildern garniert: mit einer Frau in "Burka" und ein Filmstill aus dem Theo-van-Gogh-Film "Submission". Für die fürderhin als "Koran-Richterin" apostrophierte Juristin ein Griff ins Klo, der für sie neben einem ungeheuren Shitstorm auch diensrechtliche Konsequenzen hatte. Interessiert hätte mich bloß, wo sie sich schlau gelesen hat. Das Urteil wurde übrigens kassiert.

ich will jetzt nicht vertiefen, daß die traditionelle Auslegung des von der Richterin "stolz" herbeigezogen Verses 4:34, von islamkritikern schon kurz und knackig "Schlagevers" genannt - "wenn sie Dir nicht gehorcht, schlag sie" - in der islamischen Theologie schon längst nicht mehr die allein gültige ist. Das will ich jedoch hier nicht erörtern. Was von dieser Affäre übrig blieb: die Muslime, die in dieser ganzen Geschichte überhaupt keine Aktien hatten, wurden von einem Shitstorm überrollt, der auch die Richtigstellungen von muslimischer Seite nicht mehr zur Kenntnis nahm, z.B. hier, hier und hier.

 

Bildnachweis - li: AP, re: dpa/anp, Thomas Kist

 

St. Martin und die Wintermärkte

Über den blödsinnigen Vorstoß gegen die St. Martinszüge habe hier  ich schon berichtet: "2013 kam ein Mitglied der LINKEN auf den Einfall, die beliebten, traditionellen St. Martins-Umzüge umbenennen zu wollen und verschanzte sich dabei feige hinter "den Muslimen". Die Islamhasser nahmen den Ball höchst dankbar auf und es half überhaupt nichts, daß die Beliebtheit dieser Umzüge, auch bei muslimischen Kindern, betont und der Unfug abgeschmettert wurde. Der Schaden war gesetzt und der Ball von den "Islamkritikern" dankbar aufgenommen.. Obwohl schon viele Male auch andernorts - auch von vielen Muslimen - dementiert und obwohl von nicht einem einzigen Kind boykottiert, wurde der Hoax auch dieses Jahr wieder ausgegraben und in seinem Fahrwasser barmten Islamkritiker und Besorgte alle Jahre wieder wegen der angeblichen Umbenennung  von Weihnachtsmärkten in Windermärkte.

 

Die Nackten von Rom

Einen weiteren Aufreger lieferte Anfang 2016 ein übereifriger italienischer Staatssekretär, der veranlasste, daß die nackten Statuen des Kapitolinischen Museums für den Besuch des iranischen Präsidenten Ruhani in weißen, wie Särge wirkenden Holzkisten verstaut wurden. Auch diese Geschichte ging viral, und man sah schon wieder mal das europäische Erbe in Gefahr.

Wie die Süddeutsche einige Tage später in ihrer Printausgabe berichete - leider ist der Artikel nicht online - seien die Iraner jetzt wirklich verärgert, denn sie hätten nichts dergleichen verlangt. man habe die italienischen Gastgeber lediglich gebeten, dafür Sorge zu tragen, daß Ruhani nicht zusammen mit irgendwelchen nackten Tatsachen abgelichtet wird. Dies sei bei Museumsbesuchen des Papstes so üblich. Der Artikel kam allerdings zu spät: alles hatte sich schon pflichtschuldigst aufgeregt.

 

Das Schweinefleischverbot

In die Verteidigung eines weiteren christlich-abendländischen Kulturguts - dieses Mal nicht in Kombination mit "jüdisch" - schaltete sich die Kanzlerin persönlich ein: "Merkel fordert Toleranz für Schweinefleisch". Das hat schon fast Comedy-Qualität. Wie kam es denn überhaupt dazu, daß das christliche Abendland sich um das Kulturgut Schweinefleisch Sorgen machen musste? Auf der einen Seite denke ich schon, daß das - z.B. von besorgten Kindergarteneltern - andiskutiert wurde, auf Schweinefleisch zu verzichten. Schweinefleisch ist heute, neben Hähnchenfleisch, dasjenige Fleisch, bei dem man - bedingt durch die Massentierhaltung -  mit den meisten Gesundheitsgefahren rechnen muss. Es gab schon viele Magazinsendungen, die über unglaubliche Zustände in Schweineställen berichteten. Darüberhinaus gilt es mittlerweile als belegt, daß Schweinefleisch durch seinen extrem hohen Gehalt an Arachidonsäure (zugegeben, Putenfleisch und Thunfisch liegen höher...) ein deutlich erhöhtes Risiko für Arthrosen und andere sytemische Entzündungen hat.
Eine zweite Zutat war das, was andere Länder in den Schweinefleischgenuss hineininterpretierten: Ein Beispiel, von dem sich, wie einige Kommentatoren meinen, die Schleswig-Holsteinische CDU inspirieren ließ - der dänische "Frikadellenkrieg":  die rechtspopulistische Dansk Folkeparti - immerhin Koalitionspartner der Regierungspartei -  hatte in einer dänischen Stadt, Randers, die obligatorische Verpflegung der Kinder mit Schweinernem durchgesetzt, da dessen Verzehr Teil der dänischen Kultur sei. Das Schweinefleisch war übrigens nicht wegen der bösen Muslime, sondern mangels Nachfrage (!) vom Speiseplan gestrichen worden. Selbst die WELT, die Islamkritik doch meistens viel Verständnis entgegenbringt, machte sich über die Geschichte lustig.

Da mochte die Schleswig-Holsteinische CDU nicht abseits stehen: ein "Landwirtschaftspolitiker" namens Heiner Rickers dachte vor - und die Nord-CDU dachte hinterher - und forderten  eine "Schweinefleisch-Pflicht in öffentlichen Kantinen". Wobei aber keineswegs daran gedacht sei, jetzt muslimische Kinder mit Schwein zwangszufüttern, sondern lediglich daran, diese öffentlichen Einrichtungen dazu zu verpflichten, täglich Schweinefleisch anzubieten - nachgefragt, oder nicht.

Wir sehen: wiederum hat sich kein Muslim an der Debatte beteiligt, aber trotzdem: abendländisch-christliches Schwein wurde wacker verteidigt, gegen wen auch immer... Wohl bekomm's!

 

Joghurt und muslimische Feiertage

Als LIDL von den Bildern auf den Packungen seiner griechischen Hausmarke die Kreuze auf den abgebildeten Kirche entfernte, war wieder shitstorm - und wieder, ohne, daß irgendein Muslim was gesagt hatte.

Das Thema "muslimische Feiertage" brachte, aus rein wahltaktischen Gründen, im vergangenen Herbst unser - bislang nicht eben durch Islamophilie und Dhimmitümelei (Anm. DS: Dhimmis sind in einem islamischen Staat, den es nicht gibt, die "Schutzbefohlenen", im Vokabular der Islamhasser jedoch jene die den Musels in den *** kriechen) aufgefallener, Innenminister auf. Wieder hatte kein Muslim an diesem Danaergeschenk auch nur den Hauch eines Anteils, wiederum fiel es den Muslimen auf die Füße.

Alles wieder Aufreger, die ohne Zutun der Muslime inszeniert wurden, aber für die die Muslime sich rechtfertigen mussten.

 

 

Das war jetzt nur derjenige Ausschnitt, bei dem die Muslim*innen den Preis dafür bezahlen mussten, daß sich irgendwelche vorgeblich Wohlmeinenden mit vorgeblich pro-muslimischen Beiträgen zu Wort meldeten, und auch das waren noch nicht alle.

Von den trotz mannigfacher Widerlegung alle Jahre wiederholten Lügengeschichten und den vorgeblich frauenbefreierisch-feministischen, in Wirklichkeit neokolonial-paternalistischen Übergriffen auf die Kleidung muslimischer Frauen mal abgesehen.

 

Wenn es mich schon so anfrisst, wie mag es dann gebürtigen, besonders jungen Muslim*innen damit gehen?

Aber ich verspreche, in Zukunft sorgfältiger hinzugucken.